Verschwörungstheorien und Fake News sind derzeit wieder in aller Munde. Kritisches Denken ist da das Gebot der Stunde. Was aber heißt es, kritisch zu denken? Und wie bringt man sich selbst und andere dazu, sich darin zu verbessern? Diesen Fragen spürte der Philosoph Jonas Pfister am 20 Jänner im Rahmen des Philosophischen Cafés nach.

Kritisches Denken ist das Kerngeschäft der Philosophie. So variantenreich Philosoph:innen ihr Tun charakterisieren und so wenig konsensfreudig sie im Allgemeinen auch sein mögen, über den Wert kritischen Denkens besteht Einstimmigkeit. Das heißt freilich nicht, dass sie diesem Wert immer gerecht werden. Und auch nicht, dass kritisches Denken nur die Philosophie etwas angeht. Tatsächlich, so Pfister, ist kritisches Denken nicht nur stets verbesserungswürdig, sondern auch für alle erstrebenswert. Zum einen, weil es ganz wesentlich das ausmacht, was man mit dem etwas verstaubten Begriff der Mündigkeit fassen kann – es befähigt dazu, als selbstbestimmte und selbstständige Person zu leben, die vernünftige Überzeugungen zu bilden und rationale Entscheidungen zu treffen versteht. Zum anderen, weil es das Rüstzeug ist, um in einer Demokratie die eigenen Bürger:innenrechte und -pflichten adäquat wahrzunehmen.
Was aber ist kritisches Denken? Die Kurzdefinition Pfisters lautet: Kritisches Denken ist rationales Denken, ein Denken also, das sich an Gründen orientiert. Näherhin brauche es das Zusammenspiel dreier Dinge. Erstens kann nur kritisch denken, wer über gewisse Kenntnisse verfügt. Man muss etwa wissen, worin sich eine Beobachtung von einem Argument unterscheidet, welche Arten von Argumenten es überhaupt gibt und wie sie aufgebaut sind, was ein guter Grund ist und wie Hypothesen sich testen lassen. Hinzu kommen bereichs- und situationsspezifische Kenntnisse. Zweitens hängt kritisches Denken von einer Reihe an Fähigkeiten ab, einem praktischen Wissen also. Hier geht es vor allem um die korrekte Anwendung der Kenntnisse. Kritisch Denkende müssen beispielsweise imstande sein, Argumente zu prüfen, Informationen zu recherchieren, Begriffe zu analysieren und Experimente durchzuführen. Drittens schließlich kommen beim kritischen Denken bestimmte Dispositionen zum Tragen: Aufmerksamkeit, die Bereitschaft zum Nachdenken, Mut, Offenheit und ein Streben nach Wahrheit.
Dieses Trio muss aus Pfisters Sicht denn auch angesichts von Verschwörungstheorien und Fake News sowie bei Spielarten eines naiven Relativismus und kognitiven Verzerrungen zum Einsatz kommen. Theorien haben, so Pfister, dem Kriterium der Falsifizierbarkeit zu genügen: Lässt sich nicht angeben, was es bräuchte, um eine Theorie zu widerlegen, muss diese mit größter Skepsis betrachtet werden. Zudem gilt es zu eruieren, in welcher Verbindung sie zu bereits etabliertem Wissen steht. Und fällt einmal die Entscheidung für eine bestimmte Theorie, entbindet das laut Pfister nicht davon, Einwänden gegenüber offen und hinsichtlich der eigenen Interessen und Motivationen kritisch zu bleiben. Im Fall von Fake News plädierte Pfister für Medienbildung: Es gilt stets, sowohl den Wahrheitsgehalt einer Nachricht als auch die Wahrhaftigkeit der Sendeinstanz zu überprüfen. Die Unterscheidung zwischen Qualitätsmedien und Sozialen Medien spiele in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.
In der regen Diskussion im Anschluss an seinen Vortrag sah sich Pfister gleichermaßen mit Detailfragen wie grundsätzlichen Bedenken konfrontiert. Wie steht es etwa um das Kriterium der Falsifizierbarkeit? Schließlich gibt es eine Reihe an Theorien – die Arbeitswerttheorie von Karl Marx oder die Psychoanalyse Sigmund Freuds beispielsweise –, die sich ihm scheinbar entziehen. Pfister hielt an der Bedeutung der Falsifizierbarkeit fest. Er konzedierte aber, dass theoretische Entwürfe, die sich daran nicht messen lassen, durchaus in mancher Hinsicht hilfreich sein mögen. Auf die Frage, was der Hinweis auf Qualitätsmedien tauge, wenn diese doch von Verschwörungstheoretiker:innen als „Lügenpresse“ denunziert würden, antwortete Pfister, dass in manchen Fällen allererst Aufklärung darüber stattfinden muss, wie Nachrichten überhaupt gebildet werden.
Aber – so ein grundsätzlicher Einwand in der Diskussion – lohnt die Auseinandersetzung mit den Anhänger:innen von Verschwörungstheorien und Fake News überhaupt? Ist es nicht vielfach so, dass diese an einem rationalen Austausch von Gründen gar nicht interessiert sind? Pfister rief dazu auf, den Kontakt nicht abzubrechen. Wer in einer Hinsicht irrational sei, könne in einem anderen Bereich durchaus vernünftig denken und handeln – genau hier gelte es ansetzen.
Und doch: Braucht es nicht manchmal den klaren Schnitt? Es ist zum Beispiel hinlänglich bekannt, dass Teile des Corona-Protests dem rechten Rand angehören oder ihm nahestehen. Antisemitische Ausfälle sowie die Relativierung oder gar Leugnung des Holocaust – ob nun in toto oder in seinen Details – sind die Währung, in der sie handeln. Was ist hier zu tun? In ihrem Buch Denying the Holocaust: The Growing Assault on Truth and Memory erklärt die US-amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt auf überzeugende Weise, warum sie sich der Diskussion mit Holocaustleugner:innen verweigert. Würde sie als Geschichtswissenschaftlerin mit ihnen ins Gespräch treten, stattete sie deren Antisemitismus mit dem Nimbus der Wissenschaftlichkeit aus. Was eigentlich der Kategorie der Hassrede angehört, gewänne unversehens den Status einer legitimen (Gegen-)Position. Dadurch würde sich der Diskurs verschieben und auf einmal sagbar werden, was zuvor zu Recht als unakzeptabel galt. So hätten die Holocaustleugner:innen ihr Ziel erreicht.
Nun bestreiten freilich nicht alle, die die Existenz von SARS-CoV-2 oder die Wirkung von Impfstoffen in Zweifel ziehen, den industriellen Massenmord am jüdischen Volk. Und nicht jede Verschwörungstheorie muss antisemitisch oder rassistisch aufgeladen sein. Was also tun? Wann müssen wir das Gespräch suchen und wann sollten wir die Diskussion verweigern? Wo ist die Grenze zu ziehen? Schwierige Fragen! Was bei der Suche nach Antworten jedenfalls nicht schaden kann, ist vor allem eines: kritisches Denken.
| Florian Pistrol
KURZBIOS
JONAS PFISTER
ist Assistenzprofessor am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck.
FLORIAN PISTROL
ist Universitätsassistent (prae doc) am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck.
Das nächste Philosophische Café findet am 23.03. mit Philipp Schaller (Wien) zum Them „Körper und Geist“ statt.