Viele angehende Philologinnen und Philologen träumen davon, ihre eigenen Werke in einer Buchhandlung zu sehen – für ihn ist das der ganz normale Alltag. Bernd Schuchter hat 2003 sein erstes Buch publiziert und seither auch als Verleger des Limbus Verlags den deutschsprachigen Literaturbetrieb geprägt. Mit komplex hat er nun über die Entdeckung der Langsamkeit gesprochen.
Nicht ohne Grund ist die Innsbrucker Altstadt eine Touristenattraktion. Die bunten Häuser versprühen den Charme vergangener Zeiten und sind zugleich doch gefüllt mit der Hektik des gegenwärtigen Lebens. An schönen Tagen muss man sich durch Touristengruppen schlängeln. Heute zeigt sich die Stadt ausnahmsweise von ihrer ruhigeren Seite. So auch die Kiebachgasse, die einen beinahe vor dem Büro des Limbus Verlags entlässt, der mit seinem stolzen Alter von 17 Jahren ein fixer Bestandteil der Tiroler Kulturszene geworden ist.

An jenem Wintertag öffnet Bernd Schuchter mit einem Lächeln die Tür. Sein großer, schwarzer Hund springt wenig später zur Begrüßung durch das Vorzimmer. Die Fotos werden gleich zu Beginn aufgenommen, denn zu dieser Zeit fällt noch Licht durch die Fenster des Erkers. Eine Schreibmaschine steht auch dort auf einem umfunktionierten Couchtisch. Der neue Arbeitsplatz des Schriftstellers ist das jedoch nicht. Der große Tisch werde meistens nur zum Essen gebraucht und von Kinderspielzeug belagert. Ein Sinnbild für die Rollenverteilung in Schuchters Leben. Denn als Vater steht er um sechs Uhr auf, macht Frühstück und hilft seinen Kindern am Nachmittag bei den Hausaufgaben. Der Arbeitsalltag des Verlegers sieht hingegen anders aus. Dort stellt sich weniger Routine ein. Die Projekte überschneiden sich und die To-Do-Listen wandeln sich je nach Saison, wobei er immer im Blick behält, welche Bücher demnächst erscheinen werden, welche Förderungen beantragt werden müssen, wie weit das Lektorat ist und wann die Bücher in Druck gehen. Auf die Frage, wann dann noch Zeit zum Schreiben bleibt, antwortet er schmunzelnd: „Das ist derzeit nicht so tragisch, weil ich in den vergangenen Jahren viel gemacht habe“. Um genau zu sein, waren es elf Bücher in zehn Jahren.
Seit dem Ausbruch von Corona hat sich das jedoch geändert, denn damals setzte bei Schuchter eine zweijährige Schreibkrise ein. Wenn man die Produktion des vergangenen Jahrzehnts betrachtet, erscheint dies wie ein Plot-Twist.
„Es war aber total in Ordnung, weil sich für mich in den vergangen zwei Jahren grundsätzlich etwas geändert hat und ich mich von diesem ‚ewig mehr und ewig weiter‘ sowie von dem Alarmismus und der Hysterie des Betriebs distanzieren musste“
sagt der gebürtige Innsbrucker.
Doch wie die meisten herausfordernden Lebensphasen hat auch Schuchters Schaffenskrise ein Ende gefunden. Dieses begann mit einem Geschenk – der besagten Schreibmaschine, die an jenem Nachmittag vor dem Fenster ruht. Ihre türkise Farbe wirkt im nachlassenden Sonnenschein ein wenig blasser als im Kunstlicht, mit dem der Autor sie abends beleuchtet. Er hat sie zu Weihnachten bekommen und gleich gemerkt, dass ihm dieses Geschenk eine vollkommen neue Schreiberfahrung bietet. Es ist anstrengender, mechanischer. Nach dem Schreiben verlässt er den Tisch meist mit Rückenschmerzen. Und auch das Ergebnis auf dem Papier muss sich von allem Bisherigen unterscheiden, denn: „Es ist einfach ein anderes Denken. Man muss natürlich sorgfältiger arbeiten und sich konzentrieren und es hat ein anderes Tempo. Ich habe gemerkt, dass das besser zu mir passt.“

Doch hat sich nicht nur im Schreiben eine gewisse Langsamkeit etabliert. Nachdem Schuchter Augenprobleme bekommen hat, konnte er nicht mehr so viele Bücher rezipieren. Eine große Veränderung im Leben des Innsbruckers, wenn man sein bisheriges Lektürevolumen bedenkt. Mit 15 Jahren hat Schuchter begonnen, die Werkausgaben der AK Bibliothek durchzuarbeiten. Seither widmet er dem Lesen sein Leben. Die Klassiker haben in der Preziosen-Reihe des Limbus Verlags ihren Ehrenplatz gefunden. Über die schriftstellerische Arbeit sagt er nur:
„Ich finde, ein Autor ist in erster Linie ein Leser.“
Den Wunsch, selbst zu schreiben, hat er wenige Jahre nach der Entdeckung des Kanons entwickelt. „Damals hatte ich so viel Ehrfurcht vor den Klassikern, dass ich mir dachte, ich kann das nie,“ erinnert sich der Autor heute. Er glaubte, er müsse erst einmal 10 Jahre lang lesen, um sich überhaupt am Schreiben versuchen zu dürfen. „Ich habe damals jedoch vergessen, dass das die fertigen Meisterwerke sind und auch diese Künstler mit Versuchen begonnen haben,“ erklärt Schuchter und fügt hinzu: „Im Nachhinein habe ich mir dann gedacht, dass das ein Fehler war, denn ich habe in dieser Zeit nicht geschrieben. Man sollte aber parallel auch schreiben und sich nicht abschrecken lassen – auch wenn es dilettantische Versuche sind.“
Jenes Selbstvertrauen, das Schuchter heute besitzt, hat er nach der Publikation von Jacques Callot und die Erfindung des Individuums erlangt. Für diesen historischen Essay erhielt der Autor viel positives Feedback und merkte: „Ich kann das. Das Genre liegt mir.“ Seither sind noch Herr Maschine oder vom wunderlichen Leben und Sterben des Julien Offray de La Mettrie und Gustave Courbet und der Blick der Verzweifelten in dem Stil erschienen. Ob das nächste Werk, das bereits in Arbeit ist, dieselbe Form erhalten wird, bleibt abzuwarten. Bestimmt wird sich einiges ändern und hoffentlich manches doch auch erhalten bleiben. Über das Thema und die zentrale Figur sei vorab nur so viel verraten: „Eigentlich ist es der absolute Wahnsinn, wenn man ein solches Projekt anfängt und durchzieht – allen Widrigkeiten zum Trotz.“ Und so scheint es, als habe Schuchter erneut einen Seelenverwandten in der Kunst entdeckt.
| Christina Vettorazzi
Ein Gedanke zu “LITERATUR|Betrieb unter vier Augen: Im Gespräch mit Bernd Schuchter”