Ausflüge jenseits des Subjekts – HORROR VACUI in der p.m.k

Wie alle Nachtlokale fand sich auch die p.m.k – Plattform mobile Kulturinitiativen in der Innsbrucker Bogenmeile über die Wintermonate in Stillstand versetzt. In dem eigentlich für Konzerte, elektronische Tanzmusik und den gelegentlichen Vortrag bekannten Veranstaltungszentrum musste angesichts der Beschränkungen erneut rasch umgedacht werden. Im Zuge eines alternativen Raumnutzungskonzepts wurden bereits letztes Jahr künstlerische Arbeiten in der p.m.k ausgestellt, wodurch man die Räumlichkeiten in Form einer Galerie für die Bevölkerung öffnen konnte. Dieses Jahr beleben die Künstlerinnen Martina Jole Moro und Laura Stoll mit ihrer gemeinsamen Ausstellung HORROR VACUI nun die ungenutzten Bar- und Konzerträume. Wir haben die beiden getroffen und uns über die Hintergründe ihrer Arbeiten unterhalten.

Studien zum Gesichtsverlust – Laura Stoll | Bild: Delia Salzmann

Den Barraum der p.m.k gestaltete Laura Stoll mit ihren “Studies on the loss of face” / “Studien zum Gesichtsverlust”, einem Projekt, an dem sie seit 2018 laufend arbeitet. Das Projekt setzt sich künstlerisch vor allem aus Masken und Gesichtsabgüssen in verschiedenen Medien zusammen und basiert auf einer großflächigen Überlegung zur Idee des Subjekts und der Frage, inwieweit unsere Vorstellungen davon in der westlichen Philosophie mit dem menschlichen Gesicht verknüpft sind.

Das Projekt vereint eine Vielzahl von Perspektiven, begann jedoch mit einem Interesse an Totenmasken, also Abformungen des verstorbenen Gesichts, welche in der Erinnerungskultur des 18. und 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielten. Masken wurden damals oft als Repräsentation der verstorbenen Person verwendet, um für diese Position beziehen und posthum ihre Interessen vertreten zu können, erklärt Laura Stoll. Darin spiegelt sich die enge Verknüpfung von Subjekt und Gesicht wieder, die auch heute noch in unserem Denken verankert ist, sowie eine Sehnsucht nach etwas Konstantem, einer festen Substanz im Inneren der Person, die sich an ihrer Oberfläche festmachen lässt.

Auf der anderen Seite der künstlerischen Forschung steht die chinesische Kultur und Geschichte, in welcher Individuum und Subjekt eine weit weniger wichtige Rolle einnehmen: hier stehen Prozesse und die Bindungen zwischen Subjekten im Mittelpunkt. Diese beiden Zugänge und ihre Implikationen sollen im künstlerischen Arbeiten mit dem Gesicht und der Maske ausgelotet werden.

Eine wichtige Rolle in Laura Stolls Arbeiten spielt dabei das Wasser, welches symbolisch meist für Veränderung, Grenzenlosigkeit und Anpassung steht, durch seine stetige Bewegung aber auch solide Gegenstände formen kann. Deshalb ist es auch eben dieses Wasser, welches drei Tonabdrücke am p.m.k-Fenster im Laufe der Ausstellung formt: über den Gesichtern Lauras, die wie schlafend auf ihren Podesten ruhen, sind drei Eimer mit Löchern befestigt, aus welchen es in einem stetigem Rhythmus tropft. Die Gesichter verformen sich dadurch im Laufe der Ausstellung und verlieren irgendwann völlig ihre Gestalt.

Dieser prozessuale Gesichtsverlust versinnbildlicht die dahinterliegenden Überlegungen zur Identität. Wo etwas fixiert ist, gibt es auch Einschränkungen, gibt es Starre und Verharren. Der eigentlich negativ konnotierte Verlust kann hier also eine neue, positive Bedeutung gewinnen: das Abwerfen einer rigiden, möglicherweise veralteten Identität, welches den Weg für Veränderung und ungenütztes Potenzial öffnen kann – ein altes Gesicht zu verlieren, um aus dem jetzt wieder weichgewordenen Ton ein neues zu formen, oder um sich ganz einfach jenseits dieser fixierten Identitätskonzeptionen bewegen zu können. So erklärt Laura Stoll:

“Freedom can be thought of in different forms, but in western culture it is often exclusively thought of as ‘expressing yourself in a certain manner’, whereas freedom can also mean not having to do that, or not putting your focus on that. Or not being anything. Not being caught up in that.”

Bild: Daniel Jarosch

Durch die Maskenpflicht haben Überlegungen zur Bedeutung des Gesichts eine breitere Masse erreicht. So argumentieren derzeit viele, das eigene Gesicht unverhüllt zu zeigen und zeigen zu können sei nicht nur die Grundlage zwischenmenschlichen moralischen Handelns, sondern auch ein Symbol der Freiheit. Doch in einer Zeit, in der Gesichtserkennungstechnologie mehr und mehr um sich greift und uns damit auch staatliche Kontrollmechanismen als Subjekt mit unserem Gesicht verknüpfen, biete die Möglichkeit, Teile seines Gesichts zu verstecken, auch eine Art von Schutz, gibt die Künstlerin zu bedenken.

Ein weiterer Aspekt der Arbeit ist die Reflexion über die Rollen von Original und Kopie in der Kunst. Während in der westlichen Kunsttheorie das Original eine übergeordnete Position einnimmt, hat das Kopieren von künstlerischen Werken in der klassisch chinesischen künstlerischen Ausbildung große Bedeutung. Angehende Künstler:innen lernen hier üblicherweise zuerst, die großen Meister:innen glaubhaft nachzumachen, und diese Fähigkeit des Nachahmens zeugt von künstlerischer Reife, wogegen im westlichen Denken dieselben Fähigkeiten oft als Betrug und dem Original gegenüber als wertlos abgetan werden.

In einem physischen Akt des Hinterfragens arbeitet die Künstlerin hier also mit Kopien. Abgüsse waren in der Kunstgeschichte zwar präsent, meist jedoch nur als Mittel zum Erschaffens eines Werkes, nie als Kunstwerke an sich. Indem sie Kopien ins Zentrum stellt, spielt Laura Stoll mit den dabei entstehenden Fragen: inwieweit sind die Konzepte Original und Kunstwerk deckungsgleich? Kann eine Kopie gleichzeitig auch ein Original sein oder werden, wenn die betreffende Gussform nur einmal verwendet werden kann? Ist jeder Abdruck von einem lebendigen, menschlichen, alternden und sich verändernden Gesicht nicht doch nur eine Momentaufnahme und damit – irgendwie – auch ein Original?

Die Künstlerin nutzt als Vorlage immer ihr eigenes Gesicht und erstellt die Abdrücke alleine – ein Prozess, der es erforderlich macht, etwa 20 Minuten lang still zu sitzen, um das Material trocknen zu lassen. Nur zwei kleine Löcher zum Atmen durch die Nase bleiben offen, die Augen formt sie aus praktischen Gründen immer zum Schluss. Diese Warteperiode kann sich bisweilen einengend anfühlen, eines ihrer Testsubjekte im frühen Lernprozess ermöglichte unfreiwillig eine besonders realistische Maske, da ihre Wimpern und Augenbrauen im Material hängenblieben. Die Arbeit „Stuck“ – ein Titel, der simultan auf Deckenornamente und auf das Steckenbleiben in Identitäten verweisen kann – konzipierte die Künstlerin extra für die p.m.k und passte die Reihen von identischen Gesichtsabgüssen an die gewölbte Decke an. Für diese Arbeit erstellte Laura Stoll kontinuierlich Kopien von Kopien:

„Working with molds is a very rhythmic process. To be efficient, you can do many things at once, but they all have a rhythm. The process really structures you, instead of you structuring the process.”

Die dritte Arbeit rückt vom direkten Thema des Gesichts ab und webt eine neue Perspektive in die Diskussion ein: Hier zeigt Laura Stoll Kopien eines Kapitels aus dem „Daodejing“ von Laotse in 12 verschiedenen Übersetzungen, alle aus dem 20. Jahrhundert und in chronologischer Reihenfolge. Die Künstlerin lenkt hier also erneut unser Augenmerk auf Objekte und Praktiken, die, obwohl ständig präsent, selten bewusst reflektiert werden. Ähnlich dem Abguss steht auch die Übersetzung im künstlerischen Prozess irgendwo zwischen Kopie und Kunst, wobei beide Pole, je nach Ansicht, ein Ideal repräsentieren können. Üblicherweise sind die einzigen, die verschiedene Übersetzungen des selben Textes lesen, Wissenschaftler:innen und Übersetzer:innen selbst, da die Übersetzung ja meist nur ein Mittel zum Zweck, ein Werkzeug darstellt, kein Objekt des Interesses an sich. Durch die Gegenüberstellung der sich teilweise stark unterscheidenden Textstücke wird hier vorsichtig Spuren von Identität und Originalität nachgeforscht, die sich auf mehr beziehen als den reinen Sinngehalt: auch Übersetzer:innen hinterlassen in ihrer Arbeit schließlich persönliche und künstlerische Abdrücke, weswegen jede Übersetzung anders ausfällt, ähnlich wie kein Abdruck dem anderen vollkommen gleicht. In welcher Übersetzung steckt nun das Original, die Identität des Textes? In welcher Maske die reale Künstlerin? Vermutlich in keiner, oder in allen, weil sich das Subjekt in diesem Fall eben mehr in der Bewegung, im Übersetzen des Textes, im Formen des Abgusses einbringt.

Zum Schluss unterhalten wir uns noch über das Gesicht der Rescue Annie, jener Puppe, an der man heutzutage in Erste-Hilfe-Kursen Wiederbelebung übt, und die auf dem Gesichtsabguss einer mysteriösen Ertrunkenen aus dem Frankreich des 20. Jahrhunderts beruht, deren Identität nie geklärt werden konnte. Zeitweise mussten Nachbildungen des Gesichtes der „Unbekannten aus der Seine“ außerdem als morbides Accessoire in den Wohnungen der Bourgeoisie herhalten. Vielleicht auch eine Art von Gesichtsverlust, wenn das eigene Gesicht im Tod für die abstrusesten Zwecke benutzt wird – oft medial verklärt als „die meistgeküsste Frau der Welt“. Die Künstlerin findet eine solche Romantisierung problematisch: „Sure, it’s a great story – I just think it’s fucked up“. In die Arbeit fließt auch immer eine feministische Perspektive mit ein: „That’s also one of the reasons all of the faces are me. Because there are a lot of historical death masks, mainly of so-called genius men. And I thought I’d increase the percentage a little bit. It’s just one woman, but it’s many faces.”

Bild: Daniel Jarosch

The Zone – Martina Jole Moro

Im Konzertraum wartet dann The Zone, ein Videospiel von Martina Jole Moro, in der Dunkelheit auf die Besucher:innen. Hier wird sofort offensichtlich, wie selten ich mit Videospielen zu tun habe, denn ich sitze mit dem Controller in der Hand erst einmal ein bisschen da wie eine überforderte Oma. Schnell zeigt sich aber, dass Überforderung ohnehin zentraler Aspekt der Arbeit ist. Das Spiel entsprang Untersuchungen zum Thema Ökologie und dem menschlichen Einfluss auf die Umwelt und basiert auf dem Science-Fiction Roman „A Roadside Picnic” von den Brüdern Arkadi und Boris Strugazki. Prägend war für die Künstlerin, wie im Roman die Überbleibsel eines Picknicks aus der Perspektive der dort lebenden Insekten und Tiere empfunden werden. Müll bleibt zurück, Steine liegen plötzlich an anderen Orten, Grashalme sind zerdrückt oder zerrupft – für uns Menschen unbedeutsam, aus der Perspektive eines winzigen Lebewesens aber eine drastische Veränderung ihrer ganzen Welt. Auch im Spiel finden wir immer wieder bekannte Artefakte, Überbleibsel einer uns vage bekannten, lang vergangenen Zivilisation vor, die im großen, dunklen Raum schweigend an uns vorbeiziehen: “It reflects on this idea of traveling in an alienating space. It still feels familiar in a way, but a lot has changed” so Martina Moro. Die insektenförmigen Protagonisten der Strugazki-Brüder werden im Spiel nicht direkt abgebildet, die Künstlerin versucht vielmehr, die Erfahrungen der Spieler:in an jene eines Insekts anzupassen: der digitale Körper ist sehr leicht, sehr klein, und neigt dazu, davonzuschweben, wenn man einen Moment lang nicht aufpasst.

Blick in die Zone

Das Spiel funktioniert auf zwei Ebenen: ist man einerseits winzig und sieht sich mit einem großen Chaos konfrontiert, welches man weder kontrollieren noch vollends begreifen kann, so bedingt man dieses auch gleichzeitig – die ganze Szenerie wird durch den Einfluss der Spieler:in graduell immer chaotischer und abstrakter. Auch die ominös dröhnenden Hintergrundgeräusche vermitteln ein Gefühl der Machtlosigkeit, inspiriert von der Überlegung, wie normale menschliche Tätigkeiten aus der Perspektive eines winzigen Lebewesens vielleicht klingen könnten. Ich empfinde ein unbehagliches Gefühl des Kontrollverlustes: je mehr ich versuche, mir in dem feindseligen Knoten aus Müll, Kabeln, Bahngleisen und menschlichen Überresten einen Überblick zu verschaffen, in der Hoffnung, vielleicht ein wenig aufzuräumen, das ausufernde Sammelsurium in logische, verwertbare Teile zu trennen, desto näher kriecht der Knoten an mich heran, desto weniger Sinn ergibt die Situation, desto ausgelieferter bin ich an die Implikationen meines eigenen Handelns.

Am Tisch zwischen uns und dem Screen sind eiserne Muttern verstreut, welche, gleich einer Verlängerung vom digitalen in den realen Raum, an die Muttern erinnern, die wir im Spiel konstant von uns werfen. Auf einer ähnlichen Ebene spielt die Künstlerin auch mit den Schwächen der Hardware, denn der Computer, über den das Spiel läuft, ist mit dem Überfluss an Information zunehmend überfordert, beginnt zu hängen und friert irgendwann vollends ein – das Chaos im Spiel breitet sich so rasant aus, dass es schließlich auf den realen Raum überschwappt. Den Reset Button, welcher das Spiel dann an den – relativ aufgeräumten – Startpunkt zurückbringt, erklärt Martina Moro so:

„We are currently under a lot of pressure because we are constantly accused of destroying the environment and there is no way out. The reset button here is a nice second chance we don’t get in real life”.

Martina Moro vor The Zone | Bild: Daniel Jarosch

Neben dem zivilisatorischen Sammelsurium verteilte die Künstlerin auch 17 Wölfe im Spiel, die zwar nur hin und wieder schemenhaft vorbeihuschen, jedoch trotzdem ein Gefühl drohender Gefahr hinterlassen. Wölfe repräsentieren für die Künstlerin aber auch einen heilenden Einfluss auf die Umgebung: „During the research on this project, I was reading a lot on how reintroducing the wolf can really improve and enrich the biodiversity of an area”. Auch stellt der Wolf für uns im Spiel keine echte Bedrohung dar, da wir viel zu klein sind, um für ihn als Beute von Interesse zu sein. So kann die eigene Winzigkeit hier also auch ein wenig Trost spenden und Schutz vermitteln. Das bedrohliche Bild des Wolfes repräsentiert beinahe ein Aufblitzen der Hoffnung im Chaos: Hilfe kommt. Aber vielleicht nicht auf die Art, die wir uns vorgestellt haben. Während wir auf den unvermeidlichen Freeze zusteuern, bleibt uns also nichts übrig, als einen Schritt zurück zu tun und das große Ganze in seiner unendlichen Komplexität auf uns wirken zu lassen: „The main thing is letting go and just enjoying it for a second“ erklärt die Künstlerin.

Bis die p.m.k ihren Normalbetrieb wieder aufnimmt, gibt es noch bis 5. März die Möglichkeit, die Ausstellung zu besuchen – sehr sehenswert, finden wir. Wir freuen uns außerdem, mit diesem Beitrag eine neue Reihe zu eröffnen: ab jetzt werden wir laufend Aus- und Einblicke in das vielseitige Veranstaltungsprogramm der p.m.k geben und die Organisation und Vision der verschiedenen dort aktiven Vereine vorstellen.

| Delia Salzmann

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