Am 20. 4. fand in der Innsbrucker Kulturbackstube Die Bäckerei das Philosophische Café mit Nadja Neuner-Schatz (Innsbruck) statt. Auf dem Programm stand diesmal das philosophische Gegensatzpaar „Der Mensch und das Tier“ – eine Konstellation von Begriffen, deren Gegensätzlichkeit keineswegs selbstverständlich ist. Ist der Mensch demnach kein Tier? Ist es tatsächlich legitim, das Tier als das ganz Andere zu betrachten? Und selbst wenn dem so wäre, rechtfertigt das die gegenwärtige Herrschaft, Aneignung und Ausbeutung von Tieren? Vor dem Hintergrund einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Disziplin – der europäischen Ethnologie – entwickelte Neuner-Schatz tentative Antworten zu diesem Problemkreis.
Das Fremde im Eigenen
Dass ihr nicht wohl ist angesichts der Formulierung „Der Mensch und das Tier”, spricht Neuner-Schatz gleich zu Beginn des Abends mit aller Deutlichkeit aus. Und so steht ihr Vortrag ganz im Zeichen des Aufbrechens einer Dichotomie, die die europäische Kulturgeschichte seit der Antike begleitet. Aus kritischer Distanz zu ihrem eigenen Fach – der europäischen Ethnologie – arbeitet Neuner-Schatz sich an diesem problematischen Erbe ab: Das Wissen über den Menschen, das diese und ähnliche Disziplinen produzierten, stand seit jeher im Dienste von Kolonialismus und Nationsbildung. Damit, argumentiert Neuner-Schatz, ist es auch ein Wissen, das all jene ausschließt, die nicht als Mitglieder der modernen Gesellschaftsordnung angesehen werden. Der Zusammenhang ist kein zufälliger: Die moderne Identität scheint ein Anderes, ein Außen, zu benötigen, um sich des Eigenen zu versichern. Analog dazu findet ein solcher Prozess der Selbstkonstitution via eines Othering [„Veranderung“] nun auch dort statt, wo es nicht um partikulare (z.B. nationale) Identitäten geht, sondern um die Frage des Menschen im Allgemeinen.

Die anthropologische Differenz
Neuner-Schatz gesteht zu, dass die Suche nach einem Gemeinsamen, das alle Menschen – ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsform oder -gruppe – verbindet, durchaus in guter, humanistischer Absicht geschehen kann. Wie sie anhand zahlreicher Beispiele aus der Philosophiegeschichte belegt, konzentriert sich diese Suche allerdings meist auf ein einziges, ausschlaggebendes Merkmal, an das alle weiteren Kennzeichen des Menschen geknüpft werden und das ihn somit gegenüber dem „Tier” auszeichnen soll – Neuner-Schatz nennt das die „anthropologische Differenz”. Sie muss notwendigerweise in einer Hierarchie enden, an deren Spitze sich der Mensch wähnt. Sie ist also nicht nur ein Mittel, den Menschen über den Ausschluss des Tieres zu konstituieren, sondern auch eines der Unterordnung des Tieres unter den Menschen. Das universale Menschenbild, das durch die anthropologische Differenz konstituiert ist, geht also auf Kosten derer, die von diesem ausgeschlossen sind – und dies könne, wie Neuner-Schatz insistiert, allen möglichen Lebewesen passieren.
Das geformte und das nackte Leben
In ihrer Kritik an der anthropologischen Differenz folgt Neuner-Schatz dem italienischen Philosophen Giorgio Agamben, der auf den Unterschied zwischen dem „geformten“ – das heißt der politischen Gemeinschaft zugehörigen – und dem „nackten“ Leben hingewiesen hat. Das nackte Leben sei zwar den Gesetzen der Gemeinschaft unterworfen, kann aber nicht zu seinem Schutz auf diese zurückgreifen: es ist tötbar, ausbeutbar. Die Pointe an dieser Argumentation ist, dass die Differenz nicht von vornherein feststeht, sondern sozial und kulturell produziert wird. Damit ist sie potentiell auch wandelbar und verhandelbar. Gerade diese Kritik an der anthropologischen Differenz löst im Anschluss an den Vortrag eine rege Diskussion aus.
Appell der Verfeinerung
Ein erster Einwand bestand auf einer Verteidigung der anthropologischen Differenz im Sinne eines Unmöglichmachens einer „Vertierung“ des Menschen: Schließlich basieren Kolonialismus, Ausbeutung und im Extremfall der Genozid auf einer schrittweisen Verwischung der Grenze zwischen Menschen und Tieren und der damit einhergehenden Rechtfertigung der Tötbarkeit bestimmter Menschen, weil sie dem Tier nahestünden. Weiters wurden Zweifel daran geäußert, ob unser gegenwärtiger Umgang mit dem Tier überhaupt mit diesen Theorien der Differenz zu tun habe. So gehe es im Tierwohl-Diskurs eher um eine Art Optimierung der Nutztierhaltung, wozu ein Infragestellen der Differenz zwischen Menschen und Tieren nicht notwendig sei. Diesen Einwänden begegnete Nadja Neuner-Schatz mit dem Argument, dass es gerade nicht darum geht, die Differenz zu verwischen, sondern darum, dass eine als unüberwindbar und statisch fixierte Grenze eine Fiktion ist. Mit Derrida will sie auf den vielfältigen Uneindeutigkeiten bestehen und damit unser Verständnis des Mensch-Tier-Verhältnisses verfeinern. Dieses Verhältnis sei allerdings, wie zuvor angedeutet, nicht eines zwischen dem Menschen und dem Tier, sondern zwischen Menschen und anderen Tieren.
| Stephanie Graf
KURZBIOS
Nadja Neuner-Schatz
hat Europäische Ethnologie an der Universität Innsbruck studiert und arbeitet gegenwärtig an ihrer Dissertation, die von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen des DOC-Programms gefördert wird.
Stephanie Graf
ist Universitätsassistentin (Postdoc) am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck und Mitarbeiterin beim FWF-Projekt Membership Metaphors as „Doorkeepers“ (FWF-Projekt 33780).
Das nächste Philosophische Café findet am 25.05. mit Stephanie Graf (Innsbruck) zum Thema „Das Heilige und das Profane“ statt.