Ein Graben ohne Boden: mit ANNA HEISS und MICHAELA SENN über „Wir: im berg“

Ich blicke auf meine Hände
und sie
sie
graben
Sie tun es schon wieder
Sie tun es noch immer
Sie graben einfach weiter
Sie brauchen etwas
an dem sie graben können
ein bisschen Erde
Hauptsache ein bisschen Erde
sonst stößt man an sich selbst
und gräbt in sich hinein
wenn da nichts mehr ist
das die eigenen Hände graben könnten

Im Hamsterrad des Lebens gefangen, übersehen wir bisweilen das Verschwinden unseres Antriebs.  Zunehmend verschwimmen die Antworten auf Fragen, die wir uns nicht mehr zu stellen wagen, weil uns ein genaues Hinsehen zu einem Handeln zwingen könnte, zu dem wir nicht in der Lage wären.

Gespielt von Daniela Bjelobradić, Sabine Ladurner, Margot Mayrhofer und Philipp Rudig und mit Musik von Fabian Lanzmair ist Wir:im berg eine „peformative Kartierung des Brenner Basis Tunnels“, wie die Beteiligten es nennen, die sich der Thematik des Grabens widmet. Das Graben des berüchtigten Tunnels als Verbindung zwischen Süd- und Nordtirol auf der einen Seite, das innere Graben, das die eigene Psyche befragt und nicht locker lässt auf der anderen, hat sich wir:im berg Großes vorgenommen. Die Kooperation zwischen Triebwerk 7 in Innsbruck und der Dekadenz in Brixen wagt diesen Blick ins Verborgene gemeinsam.

Sabine Ladurner, Danial Bjelobradić, Philipp Rudig, Margot Mayerhofer bei der Probe in der Dekadenz | Bild: Carmen Sulzenbacher

Projektleiterin Anna Heiss, die zugleich auch die künstlerische Leiterin der Dekadenz in Brixen ist,  geisterte das Projekt schon länger im Kopf herum, bis sie sich schließlich an Triebwerk 7 wandte, einen Verein, der sich mit freien Theaterformen auskennt, da sein Fokus seit seiner Gründung auf experimentellen sowie performativen Stückformaten liegt. „Durch die Zusammenarbeit setzt sich  das Grundmotiv der Verbindung von Nord- und Südtirol in den Produktionsbedingungen fort – das finde ich sehr schlüssig“, erklärt Anna. Auch Michaela Senn, die das Stück inszeniert, sieht eindeutige Vorteile einer solchen Kooperation. Einer sei jener, mit neuen Produktionsbedingungen und Räumen sowie mit einem anderen Publikum in Kontakt zu kommen.

„Für alle bedeutet diese Zusammenarbeit, dass das Stück an zwei Spielorten gezeigt wird, es kann sich in zwei völlig unterschiedlichen Räumen zeigen. Besonders schön finde ich, dass wir meiner Meinung nach gleichberechtigt arbeiten, eine sehr gute Diskussionsbasis haben, einen wertschätzenden Umgang im Sinne des Projektziels pflegen und alle bereits in der Vorbereitungs- und Konzeptionsphase wertvolle Beiträge für den Prozess geliefert haben“

erzählt die Regisseurin. Zusammengearbeitet haben die beiden schon öfter, wenn auch nicht als Organisationen.  „Michi hat für das Stück „Angst essen Seele auf“ Regie geführt“, berichtet Anna. „Das hat die OEW produziert – eine NGO, in deren Vorstand ich bin. Davor durfte ich mit Triebwerk7 (damals noch tON/NOt) im Innsbrucker Palmenhaus „Mermaids“ von Martin Fritz inszenieren. Wir haben außerdem gemeinsam eine installative Arbeit im Rahmen von Vorbrenner umgesetzt. Ich hoffe, dass weitere Projektzusammenhänge bestehen werden, bisher haben wir uns nicht verkracht!“ (lacht)

Wenn es bei der Arbeit zum Thema des Brenner-Basis-Tunnels nicht passiert, stehen die Chancen gut, dass das so bleibt. Eine Thematik, die so viele Kontroversen und leider auch eine gewisse  gesellschaftliche Spaltung anstelle eines Zueinanderfindens ausgelöst hat, ist kein leichtes Vorhaben. Nicht zuletzt, weil so viele gesellschaftlichen Aspekte, die damit zusammenhängen, noch im  Dunkeln liegen. Genau damit hat der Tunnel Anna bekommen:

„Der Partner einer Bekannten, die Architektin ist, arbeitet am BBT und sie hat mir von den Wohncontainern erzählt. Da ist mir aufgefallen, wie wenig ich über den BBT weiß. Dass eben so viel – sprichwörtlich und konkret – im Untergrund abläuft, hat mich fasziniert! Im Nachdenken haben sich viele Themen aufgetan: Transit, Fortschrittsglaube, Grenzen, Arbeitsmigration… Die ganzen Anknüpfungspunkte haben mich bestärkt, da weiterzuarbeiten und ich bin froh, dass Triebwerk7 und das gesamte Team die Relevanz genauso erkannt haben.“

Die Kontroversen, die das Stück möglicherweise auslösen wird, sieht sie aber eher in der Form, als im Inhalt begründet. „Sie ist nicht konkret, bedient sich keiner konventionellen narrativen Strukturen  und das Thema, das so stark daherkommt,  wird anders verhandelt, als viele erwarten werden.“ Auch die Regisseurin hatte vor der Idee zum Stück keine Bezugspunkte zum Tunnelprojekt. Schon in ihrer Kindheit wurde über die Umsetzung des Tunnels diskutiert, doch nachdem der Termin der Fertigstellung für die 2010er/2020er-Jahre angedacht war, hielt sie das Thema schnell für abgehakt.

Besichtigung des Brenner-Basis-Tunnels | Bild: Carmen Sulzenbacher

„Damals war es unvorstellbar, wie weit in der Zukunft das liegt. Vielleicht haben mich Annas Gedankenimpulse genau deshalb so inspiriert; jedenfalls auch jetzt, über ein Jahr später, finde ich die Recherchearbeit nach wie vor extrem spannend. Das Projekt fasziniert auf verschiedenen Ebenen, es sprengt mein Vorstellungsvermögen und läuft schon seit Jahrzehnten. Unsichtbar, im Berg ‚versteckt‘, entsteht da etwas Gigantisches. Und es polarisiert nach wie vor, es lässt sich gut für diverse Narrative instrumentalisieren und wird gewiss nicht der einzig nötige Ausweg aus dem Verkehrsdilemma dieser Region sein. Ich glaube, dass es gut ist, gesellschaftlich wieder mehr ins Bewusstsein zu kriegen, was da entsteht und genauer zu beobachten, welche Narrative bedient und fortgeschrieben und auch performt werden. Ob der BBT als Projekt oder unsere performative Herangehensweise zu Kontroversen führen wird – keine Ahnung. Hoffentlich zu Gedankenimpulsen, zur Schärfung des Blicks für Machtmechanismen, die sich auch vor dem Hintergrund dieses Bauprojekts in unseren Breitengraden fortschreiben.“

Das Stück wird aber auch noch andere Herausforderungen meistern müssen. In Innsbruck und in Brixen aufgeführt, könnte es nicht nur mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen in den zwei  unterschiedlichen Städten zu kämpfen haben, sondern muss auch mit den verschiedenen Räumlichkeiten umgehen. „Wir arbeiten im Moment mit starkem Fokus auf den Raum in der Dekadenz, da dort die erste Premiere stattfinden wird. Wir haben uns für die Vorstellungen im BRUX eine Woche Anpassungsproben eingeräumt – mal sehen, wie sehr wir die Inszenierung verändern. Die Räume könnten ja kaum gegensätzlicher sein: die Dekadenz als unterirdischer Keller mit Felskulisse und der große, schwarze, relativ cleane Raum im BRUX. Ich bin jedenfalls extrem gespannt und freu mich auf diese Möglichkeit!“, so Michaela.

Der Text von wir:im berg, der von Miriam Unterthiner für dieses Projekt verfasst wurde, spielt sich auf zwei Ebenen ab, könnte man sagen. Die Offensichtliche ist das Graben, mit dem die Figuren durch das ganze Stück hindurch beschäftigt sind; die tiefere, jedoch ständig an die Oberfläche dringende Ebene dreht sich um die Frage nach der Sinnhaftigkeit im Leben. Das Graben könnte im Marx’schen Sinn mit der Arbeit unter uns entfremdeten Verhältnissen gleichgesetzt werden, die zugleich jene Sinnhaftigkeit in Frage stellt. Die Inszenierung legt ihren Fokus stattdessen auf öffentliche Diskurse und Narrative, die sich wiederholen und stets neu reproduzieren.

„Es geht um Argumentationsketten und Ideologien, die sich in Anbetracht eines solchen Projekts neu instrumentalisieren lassen, wie etwa die sogenannte ‚Unrechtsgrenze‘ am Brenner, die Wiedervereinigung von Nord- und Südtirol, das Thema des Umweltschutzes wird auf beiden Seiten aufgefahren, und und und. Wir arbeiten uns stark daran ab und wagen vielleicht, uns in die Gedanken der übernächsten Generation hineinzuversetzen“

erzählt Michaela. Die Frage, die sich beim Lesen des Textes dennoch aufdrängt ist, ob es außerhalb dessen, was wir tun etwas geben kann, oder ob wir tatsächlich sind, was wir tun. Ob das Stück darauf eine Antwort weiß?

„Das Stück gibt mir da keine Antwort, es beschreibt eigentlich, dass die Frage immer weitergeht. Vielleicht deutet es in die Richtung des Anderen als Schlüssel zum Selbst“, denkt Anna laut nach. Michaela lacht hingegen etwas verwirrt und meint dazu: „Diese Frage öffnet bei mir riesige Dimensionen. Ich komme vom Leistungssport, wir leben in einer stark leistungsorientierten Gesellschaft, die ‚das Tun‘ zur Maxime erklärt hat. Aber es gibt das Tun und das Tun auf verschiedenen Ebenen. Ich würde dem zustimmen, dass das Stück keine Antwort darauf gibt, aber es zeigt einen weiteren Versuch ‚etwas zu tun‘ – etwas gegen eine Situation zu unternehmen, die bereits seit Jahrzehnten untragbar ist. Aber etwas zu tun, heißt nicht immer das Richtige zu tun. Und dann ist die Frage: ‚Was ist richtig?‘ gewiss aus verschiedenen Perspektiven etwas jeweils anderes. Und weiters ist dieses ‚wir‘ ein sehr wirrer Begriff, weil ja einerseits wir alle es sind, die da diesen Tunnel bauen (lassen), gleichzeitig aber diejenigen, die es tatsächlich tun, oft sehr unsichtbar bleiben.“

Probe im BRUX | Bild: Carmen Sulzenbacher

Kein Leichtes also, hier in die Tiefe zu graben. Wir versuchen es dennoch weiter. Die eingangs zitierte Textpassage deutet an, dass die Auseinandersetzung mit sich selbst die größte Furcht in uns Menschen nach sich zieht und wir daher unseren Ausweg in der Arbeit suchen, im All-tag, im Erbringen von Leistung, im – oft auch unhinterfragten – Weitermachen. Ob unser Leben auch anders aussehen könnte, ist ungewiss, denn dafür fehlt es schon mal an der Definition von „Arbeit“.

„Wir haben das Privileg, Kunst machen zu dürfen. Es ist unsere Arbeit, über uns und unsere Umwelt nachzudenken. Deswegen tu ich mich schwer mit der Trennlinie Arbeit-Leben. Es ist einfach super, etwas machen zu dürfen, das Sinn stiftet, keinen Schaden an anderen oder der Umwelt anrichtet, den eigenen Körper nicht zerstört und dem Ego schmeichelt. Vielleicht bin ich aber auch komplett vom kapitalistischen System absorbiert und erkenne keine Trennung zwischen mir und meiner Arbeit mehr. Grundsätzlich merke ich, dass für viele Menschen die Arbeit einen anderen Stellenwert einnimmt, als in den Generationen davor. Das hat mit Wohlstand zu tun und einem Gefühl von Sicherheit, das uns unser Aufwachsen mitgegeben hat“

so die Produktionsleiterin. „Ich denke auch, diesbezüglich müsste ein erster Schritt sein zu klären, was Arbeit ist, was Verpflichtung“, hakt Michaela ein. „Ich bin seit kurzem Mutter und habe dadurch eine ganz andere Perspektive auf das Wort Arbeit bekommen; ich habe das Bedürfnis, wieder mehr an den Begrifflichkeiten zu rütteln, zu erörtern, was als Arbeit bezeichnet wird/werden darf und was nicht.“

Ein letztes Mal muss hier nachgegraben werden. Denn wenn wir davon ausgehen, dass unsere Arbeit, wie auch immer wir sie für uns definieren, unsere Erfüllung ist, gäbe es in dieser Logik auch keinen wirklich freien Menschen, da unser Glück demnach stets an Grenzen, Leistung und Belohnung gekoppelt wäre. Nicht zuletzt zutiefst abhängig vom Kapitalismus also. 

„Zum Thema Freiheit beziehe ich mich immer gern auf zwei Zitate aus der Popkultur, die schon sehr cheesy sind, aber was soll’s!“, wirft Anna ein:

„Janis Joplin hat gesungen ‚Freedom is just another word for nothing left to lose‘ und in Fight Club heißt es ‚Losing all hope was freedom‘. Beide behaupten, der Preis von Freiheit ist das Loslösen von allen Bindungen. Wer Teil eines sozialen Netzes ist, gibt Freiheiten auf. Während der Pandemie wurde das vielen mit neuer Heftigkeit bewusst – und manchen eben leider nicht.“

Also ist die Freiheit vielleicht nur eine altmodische Idee, die es loszulassen gilt? Eine Verirrung, an deren Stelle Solidarität, Verantwortung und Pflichtgefühl treten? Oder haben wir nur vergessen, wie all das parallel zueinander existieren kann?

| Sarah Caliciotti


URAUFFÜHRUNG in der Dekadenz, Brixen: Freitag, 7. Oktober 2022, 20:30 Uhr

WEITERE VORSTELLUNGEN IN BRIXEN:

Do 13. | Fr 14. | Sa 15. | So 16. Oktober

Mi 19. | Do 20. | Fr 21. | Sa 22. | So 23. Oktober

Beginn 20:30 Uhr | Sonntag 18:00 Uhr

PREMIERE im BRUX, Innsbruck: Samstag, 12. November 2022, 20:00 Uhr

WEITERE VORSTELLUNGEN:

Di 15. | Do 17. | Fr 18. | Sa 19. November

Di 22. | Mi 23. | Do 24. November

Beginn 20:00 Uhr

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