Nach seinem Roman Weißer Asphalt (erschienen 2019 bei hanserblau) hat der Autor Tobias Wilhelm nun ein erzählendes Sachbuch veröffentlicht. Sowas wie dein Papa (erschienen 2022 bei hanserblau) widmet sich den Höhen und Tiefen eines Familienmodells, das sonst eher weniger Beachtung erhält. Mit komplex-Redakteurin Christina Vettorazzi hat er sich nun im Rahmen der Interviewreihe Literatur im Kon[TEXT] über dieses Konzept der Pflegefamilie unterhalten.

C: Am Anfang des Buches schreiben Sie, dass es eine Geschichte ist aber nicht Ihre Geschichte. Warum war es Ihnen wichtig, das so klar voranzustellen?
T: Ich bin selbst Pflegevater, aber das Buch sollte keine Autobiographie werden. Daher habe ich Geschichtsteile von Pflegeeltern und -kindern kombiniert. So wurde es allgemeiner und ich konnte mehr erzählen. Gleichzeitig wollte ich die beteiligten Personen durch diese Verfremdung schützen.
Also wurde ein Kapitel jeweils einer Person gewidmet?
So kann man das nicht sagen. Bei der Entwicklung des Ich-Erzählers habe ich mich von mehreren Bekannten inspirieren lassen. So sind verschiedene Probleme von verschiedenen Menschen in die Geschichte eingeflossen.
Man hört ja immer wieder davon, dass Autor*innen mit Protagonist*innen gleichgesetzt werden, sobald biographische Parallelen vorhanden sind. Haben Sie in diesem Fall auch festgestellt, dass es trotzdem solche Tendenzen gab?
Ja. Die Trennung von Autor und Ich-Erzähler ist immer schwierig. Das war schon bei meinen ersten Romanen so. Sobald man aus der Ich-Perspektive schreibt und als männlicher Autor einen männlichen Protagonisten wählt, wird man oft mit der Figur gleichgesetzt. Da ist es dann wichtig zu sagen, dass es autobiographische Elemente gibt. Auch in diesem Text. Wenn es zum Beispiel um den Kinderwunsch oder die Definition von Vaterschaft geht. Das sind oft meine Gedanken. Aber es gibt eben auch viel in dem Buch, das nicht autobiographisch ist.
Und worum ging es in den anderen Büchern, die Sie bereits geschrieben haben?
In meinem ersten Roman geht es um eine Gruppe von Jugendlichen, die sich im Rhein-Main-Gebiet durchschlägt. Weil ich aus der Gegend komme und Freunde hatte, die aus prekären Verhältnissen stammen, wurde das häufig gleichgesetzt. Und mein Schreiben beinhaltet ja auch autobiographische Elemente.

Es ist wahrscheinlich auch leichter wenn man aus eigenen Erfahrungen schöpfen kann, oder?
Genau und es ist so auch möglich nachträglich Erlebnisse einzuordnen und Themen anzuschneiden, die einem wichtig sind. Wie in diesem Buch jetzt wieder. Mir war es einfach wichtig, dass das Thema der Pflegefamilie ein bisschen bekannter und auch facettenreicher dargestellt wird. Die Berichterstattung ist oft eindimensional und von individuellen Erfahrungen hört man eigentlich nicht. Das war der Antrieb, der hinter dem Projekt stand. Eben auch aufzuzeigen, dass es sich um eine Form von Elternschaft handelt, die eben nicht biologisch aber emotional ist.
Für alle, die das Buch noch nicht gelesen haben: Was genau ist der Unterschied zwischen Adoptiveltern und Pflegeeltern?
Bei einer Adoption ist das Kind rechtlich einem leiblichen Kind gleichgestellt. Das ist bei einer Pflegeelternschaft nicht so. Da werden die Kinder von der Pflegefamilie aufgenommen, haben aber häufig noch Kontakt zu ihren leiblichen Eltern und das Jugendamt ist ebenfalls involviert. Der Grundgedanke ist, dass Kinder vorübergehend, solange ihre leiblichen Eltern nicht erziehungsfähig sind, bei der Pflegefamilie wohnen. In der Realität kehren viele nicht zu ihren leiblichen Eltern zurück und bleiben langfristig in der Pflegefamilie.
Was müsste man machen, damit dieses Modell bekannter werden würde?
Erstmal, denke ich, müsste es für Pflegeeltern attraktiver werden. Ich habe in dem Buch auch geschrieben, dass viel Idealismus dazu gehört, das zu machen. Deshalb machen es auch wenige Menschen. Die finanziellen Anreize halten sich in Grenzen. Natürlich ist es die Frage, ob das der richtige Ansatz wäre. Da habe ich keine definitive Meinung. Aber es lohnt sich finanziell momentan eben nicht. Außerdem ist man rechtlich in einer schwachen Position. Das müsste sich ändern. Die Pflegeelternrechte sollten ein bisschen gestärkt werden, um das Modell attraktiver zu machen. Dann müssten die Presse und andere Formen von Öffentlichkeitsarbeit die Vielfalt des Modells beschreiben und auch Erfolgsgeschichten erzählen. Aktuell berichtet man ja hauptsächlich von den Problemfällen.
| Christina Vettorazzi