Cinema Next – „Generation Future“ am Zuge

Am 19. Oktober machte die Cinema Next Tour 2022 Halt im Cinematograph Innsbruck. Diverse regionale Filmschaffende grasten dabei die Möglichkeiten des Mediums Kurzfilm in aller Breite ab, nicht zuletzt mit mutig-progressiver Ausrichtung. Als Jury-Lieblingsfilme setzte sich mit „Genosse Tito, ich erbe“ von Olga Kosanović und „Im Universum geht keiner verloren“ von Franziska Pflaum die Thematik des Erinnerns in einem grundsätzlich von Vielseitigkeit geprägten Programm durch. 

Filmstill aus „Miniature Landscapes 3 – In Space“ von Clemens Wirth

Beeindruckende Aufnahmen mit kosmischen Einblicken, die das Große im Kleinen suchen: Sieht man sich den knapp über drei Minuten andauernden Animationsfilm „Miniature Landscapes 3 – In Space“ von Clemens Wirth auf der großen Leinwand an, fühlt es sich so an, als ziehe er uns in eine gewaltige Sphäre, bestehend aus einer menschenleeren Welt oder einem Universum, das bestens bekannt wie zeitgleich schon verfremdet scheint. Wüssten die Besucher:innen es nicht besser, würden sie es kaum für möglich halten, dass all diese Aufnahmen handgemachten Miniaturwelten entstammen, so bildgewaltig sind sie. Ja, Cinema Next ist durchaus für Überraschungen gut. Clemens Wirth ist nur einer von vielen so unterschiedlichen Stimmen aus Österreichs junger Filmwelt, der als international für bekannte Studios tätiger Filmschaffender nur darauf wartet, endlich auch im eigenen Land gehört zu werden. Wie lange bleibt unsere Erde noch so divers und voller Ressourcen und wann sind wir an dem Punkt angelangt, wo all das tatsächlich nur mehr künstlich nachgebaut werden kann? Sowie aus dem Film untergründig noch eine ganz andere Stimme jenseits aller Pracht und Magie heraustönt, die sich den weltweit akuten Problemen annimmt, gibt er die Richtung vor, auf die auch viele andere junge Filmschaffende dann aufspringen.

Die im Zuge von Cinema-Next gezeigten Arbeiten sind nicht selten zukunftsrelevant, brandaktuell und gesellschaftspolitisch. Müssen es aber nicht sein, denn gerade was die Plattform zur Förderung junger Filmschaffender prägt, ist ihre Vielseitigkeit und Offenheit für alle möglichen Ausformungen, die das Medium Film annehmen kann: „Insbesondere im Kurzfilm lässt sich ein Spagat aufmachen, der dem Publikum ein buntes Programm an Werken bietet, mit denen sie etwas anfangen können“ so Dominik Tschütscher als Mitbegründer von Cinema Next im Gespräch. Wie sich manch ein Film auch mal zurücknimmt und sich voll und ganz auf das Bilderlebnis einlässt, ist es der Mix aus Geschichte und Gegenwart sowie Ästhetik und Inhalt, der Cinema-Next einzigartig macht. Die Filme stammen aus so vielen Sparten, wie nur möglich und loten Handlungsspielräume paradigmatisch aus. Und was sie eint, ist ihre Diskurstauglichkeit.

Wirth ist jedenfalls im wahrsten Sinne des Wortes ein Meister der kleinen Formen. Der Innsbrucker scheint fast typisch für das Cinema Next-Projekt, das tourend durch Österreich Station für Station der jüngsten Generation an Filmschaffenden eine Stimme verleihen möchte und dabei immer den Bezug zur jeweiligen Region sucht, an dem die Filme dann gezeigt werden. Von Wien über Salzburg und Innsbruck, komplettieren Linz und Graz in einer knapp über zwei Wochen andauernden Tour durchs ganze Land den Plan und zeigen Film quer durch Österreich verteilt. Ganz in diesem Sinne ergibt sich dann ein Spektrum an ganz unterschiedlichen Filmgenres, die von Animationen wie bei Wirth über experimentelle kunstübergreifende Videoarbeiten bis hin zu klassisch-narrativen Spielfilmen und Dokumentationen reichen. Dabei sieht Cinema Next die ortsgebundenen Voraussetzungen als große Chance, um große regionale Filmkunst, die ansonsten kaum gesehen wird, unter die Menschen zu bringen:

„In Tirol ist es vornehmlich so, dass die meisten Filme auf den Tourismus abzielen oder der Extremsport-Videoecke entstammen. Wenngleich es Filmkunst hier nicht wie Sand am Meer gibt, in den richtigen Ecken findet man durchaus Bombastisches wie auch ästhetisch Anspruchsvolles vor. Möchten Filmschaffende in Innsbruck professionell ins Filmbusiness einsteigen, läuft das halt meist über Sport, Werbung und Tourismus“

so Dominik Tschütscher. Das Projekt dockt dort an, wo die Voraussetzungen gegeben sind und darauf warten, gefördert zu werden: „Bei Cinema-Next geht es darum, jungen Film aus Österreich in Österreich zu promoten und das sowohl auf digitaler wie physischer Ebene.“ Stimmen einige der heuer am Programm stehenden Filme nachdenklich, schwenken viele ins Humoristische über, wie sie insbesondere die Köpfe auch nach dem Kinobesuch mächtig ins Rattern bringen. Und das durchaus mit Themen, die der eigenen Lebenswelt nahe liegen und sie vielleicht sogar streifen.

Filmstill aus „Genosse Tito, ich erbe“ von Olga Kosanović 

Was heuer besonders gut anzukommen scheint, ist die Suche nach der Wirkung von Erinnerungen, meist in Form von Erlebnissen und Gefühlen, die präsent in den Köpfen hängen bleiben und uns mehr als nur einmal in unseren Lebenswegen wieder einholen: Unter anderem ist es dabei der diesmal mit zwei Kurzfilmen beteiligte Matteo Sanders, der mit „Am Grat“ das Ineinandergreifen von Natur und Kultur mit bombastischen Nahaufnahmen und zeitgleich inhaltlicher Tiefe auf die Spitze treibt. Was geht in einem Menschen vor, der unmittelbar nach seiner Multiple Sklerose-Diagnose die vielleicht letzte Wanderung auf seinen Lieblingsberg unternimmt? An welcher Weggabelung er gerade steht und was davor war und danach ist, geht Sanders auf den Grund. Stark in experimentelle Sphären taucht dann Magdalena Salner ein, die im Zusammenspiel mit dem Musiker Manuel Baumer Kunst und Musik vereint und deren Zusammenspiel auskostet, ehe Fransiska Pflaum mit einer Gesellschaftsstudie als Coming-of-Age Film aufhorchen lässt, wo sich alles um das Unauslöschbare kreist. Ähnlich, aber mit grundlegend anderem Teint ist auch Kosanovics Dokumentation „Tito, ich erbe“ angelegt und zwar in Form einer Flucht einer Familie aus Jugoslawien, einem Erbe und dem, was bleibt und Zeiten überdauert. Was machen vergangene Lebensgeschichten mit uns und wie leben sie weiter? Erkundend wie Tabus aufbrechend, untersucht dann „Menstruation“ von Sabrina Trenkwalder ein immer wiederkehrendes Ereignis der Frau und die (passive) Rolle des Mannes dabei, um nicht zuletzt in knapp einer Minute grundlegend neue Erkenntnisse und Aha-Erlebnisse in Gang zu setzen. Cinema-Next zeigt in aller Vielfalt, wie facettenreich die junge Filmgeneration in Österreich arbeitet, gräbt dabei die Perlen heraus und macht sie öffentlich sichtbar, in einem großen Fest des jungen Films.

| Florian Gucher

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