Im Interface solidarischer Notwendigkeit – die Ausstellung ECOLOGIES OF CARE

Covid-Pandemie, Krieg, Klimakrise, Migration, exzessive Gewalt, Rassismus: Der Care-Begriff ist längst nicht mehr individuelles Thema, sondern gesamtgesellschaftliche Herausforderung und spinnt sich dabei als breit ausgelegtes Netz durch den Lebensalltag hindurch. Die bis zum 15.04. 2023 laufende, von Sabine Gamper kuratierte Gruppenausstellung der Tiroler Künstler:innenschaft im Kunstpavillon und in der Neuen Galerie legt mit „Ecologies of Care“ eine kompakte wie ausufernde Überblicksschau rund um Parameter der Solidarität und Fürsorge vor, die es schafft, in der Fülle an Positionen den Durchblick zu bewahren.

KATHARINA CIBULKA STOP Racism, Fights, War, Crime, Terror, Arms, Guns, Violence. (2004) Fotografie: Farbfotografie analog | Bild: Daniel Jarosch

Angesichts der Breite der ausgestellten Positionen – sie kreisen von Feminismus, Diversity über Geschlechterdifferenz, sozialer Ungleichheit, globalen Wirtschaftsabhängigkeiten, Nahrungsnot Flucht und prekärer Existenz bis hin zum Tod – soll zunächst ein Werk Erwähnung finden, das durch seine de-platzierte Stellung auffällt: Eine groß angelegte Fotografie von Katharina Cibulka stellt sich unweit des Eingangs zum Kunstpavillon wie eine Absperrung in die Quere. Zu sehen ist in dieser im Zuge ihrer Weltreise 2004 entstandenen, snapshotartigen Momentaufnahme ein Junge vor einem argentinischen Café „in the middle of nowhere“ auf dessen Shirt in roten Lettern die Aufschrift STOP RACISM, FIGHTS, WAR, CRIME, TERROR, ARMS, GUNS, VIOLENCE prangt. Der Mut des Kindes, sich der Ungerechtigkeit symbolisch in den Weg zu stellen, zeugt von einem verlorengegangenen Optimismus, der teils nur mehr in der kindlichen Naivität fortzuleben scheint und etwas Aktivistisches hat. Er bildet einen Kontrast zu seiner nachdenklichen, ernsten Miene, sprich zu dem unverblümten Blick in die Realität. Mit dem Jungen können sich Besucher:innen im wahrsten Sinne des Wortes solidarisieren: Käuflich erwerbbare T-Shirts mit ergänzten und wiederholten Begriffspaaren sollen die Botschaft in die Öffentlichkeit tragen. STOP SEXISM, DIVISION, HUMILIATION können sie unter anderem an ihrem Leibe spüren, werden zu Träger humaner Werte. Nicht nur hier setzt „Ecologies of Care“ Akzente, die über die Räume der Ausstellung selbst hinausreichen. Ein Verhaften in den Innenräumen wäre in Anbetracht der gesellschaftlichen Problematik, die „Care“ mit sich bringt, wohl auch zu wenig. Der Ausstellung bleibt nichts anderes übrig, als den Schritt nach draußen zu gehen, sei es gedanklich wie auch künstlerisch-ästhetisch. 

Das ist dann nicht nur bei den getragenen Shirts der Fall, sondern, wenn auch auf ganz andere Art und Weise, auch bei dem unmittelbar auf das Kunstpavillon montierten, die Aufschrift „Tiroler Künstlerinnen:schaft“ überlappenden, pinkfarbenen Schriftzug Freya for Future Ursula Beilers, der quasi den Weg nach draußen sucht und sich zeitgleich um alle aus einem Open-Call ausgewählten Arbeiten der Tiroler Künstler:innenschaft klammert. Dabei gibt sich die Ausstellung luftig-locker und lässt trotz dichtem Programm Raum, die Werke – geschärft – wirken zu lassen. So zeigt die Gruppenschau dem den Pflegebereich entstammenden, lange schon nicht mehr ausschließlich in ihm verhafteten Begriff „Care“ umfassender als gemeinhin gewohnt: „Hinter der Ausstellung steht der Gedanke, ausgehend von den gesellschaftlichen Umbrüchen der Gegenwart zu zeigen, wie eng wir als Individuen voneinander abhängen und auf gegenseitige Fürsorge angewiesen sind. Das reicht dann deutlich über den privaten Bereich hinaus, fordert einen Paradigmenwechsel“, so die Kuratorin Sabine Gamper.  Was alle Werke zusammenhält, ist ihre Bestrebung „Care“ als eine Bezeichnung ins künstlerische Feld zu führen, die über bekannte Konnotationen hinausgeht. Anknüpfend an die Umbrüche der Jetztzeit versammelt es eine Vielfalt möglicher, vornehmlich jüngerer Positionen und nützt dabei die ihnen innewohnende Pluralität, um diesen Terminus künstlerisch in seiner verzweigten, aber unvermeidlichen Zerrissenheit zu präsentieren. Die multimedial angelegte Schau – und gerade das ist ihre Stärke – verzettelt sich dabei nicht unnötig, auch taucht sie nicht im Sumpf der Überladenheit unter, sondern sie zementiert sich durch jene Schnittstellen zusammen, die den Alltag des gesellschaftlichen Lebens betreffen.

Sieben ausgewählte Positionen in der Neuen Galerie stehen vierzehn gut aufgeteilten, im Pavillon zu sehenden Künstler:innen  gegenüber, sie spinnen sich einem ausgewiesenen Weg gleich durchs Labyrinth von „Care“ als ubiquitäre Herausforderung der Gegenwart. Verlieren kann sich im heute so dichten Geflecht an Solidaritätsnotwendigkeiten niemand, weil die sich verzahnenden Einzelpositionen durchaus besonnen und überlegt in die Ausstellungsräume komponiert wurden. Vieles lädt sich gegenseitig auf, nimmt man nur Richard Schwarz´ und Maria Rumays Beiträge als Beispiel, die sich auf unterschiedliche Weise mit der zwischen den Individuen liegenden Technologisierung auseinandersetzen. Autopolyp -Das Ende eines Vehikels von Rumay kreiert dabei ein die Umwelt aufsaugendes Automobil, ein apokalyptisches Szenario mit unzähligen, sich ausdehnenden Armen und Schläuchen, das sich bedingungslos ausbreitet und alles in sich vereinnahmt. Die Natur, zwar Mutter dieser Kreation, ist mittels schlauchartiger Nabelschnur mit dem Vehikel verbunden, doch es ist nur eine Frage der Zeit, wann diese Verbindung reist oder besser gesagt des Umfangs, was sie alles mit sich mitzureisen droht. Dagegen mutet Schwarz Chatbot Knigge, ein in die Technik tradiertes Resultat zwischenmenschlicher Interaktion über die Frage Was ist zwischen den Menschen, fast zu realistisch an, um noch in seiner Skurrilität entschleiert zu werden. Dass das auf künstliche Intelligenz fußende Programm, das den Chatbot mittels laufender Gespräche weiterschreibt und sich auch in der Ausstellung damit stetig fortentwickelt, mag dann wieder zeigen, wie technologisch durchzogen der Fürsorgebegriff heute gedacht werden kann. Nicht nur an diesen Positionen zeigt sich „Ecologies of Care“ dem Experiment zugeneigt. Fast schon archaisch kommt dann die an die beiden Werke angrenzende Wandinstallation common space von Nora Schöpfer daher, wie sie – mit der Vernetzung zwischen dem Menschen und der Natur als lebenserhaltende Bedingung – experimentiert. Maria Peters hingegen ergründet in Das große Wunder oder die Akzeptanz der Endlichkeit den (Alb)Traum des ewigen Lebens im Paradies in einer durch die fortschreitende Technologie dystopisch gewordenen Zukunft. Auch die Enttabuisierung des Sterbens liegt dem Solidaritätsbegriff zugrunde, weil er letztlich alles umfasst, was die Menschheit tut, um das lebenserhaltende Netz aufrecht zu erhalten. Und dazu gehören nicht zuletzt auch der eigene Tod und der Umgang damit.

WOLFGANG TRAGSEILER Exceedance (2017) Video: HD, 3:42 min | Bild: Daniel Jarosch

Belehrung und Aufklärung schwingt im auf dem ersten Blick unterweisend wirkenden Ausstellungsthema lediglich untergründig mit. Zu sehen gibt es unter anderem kecke Wort- und Referenzspiele sowie Humorvolles mit Tiefe. Neben dem bereits genannten Werk Freya for Future am eindrucksvollsten in Wolfgang Tragseilers Videoinstallation Exeedance, in der sich der Künstler angeleitet von einer Sexarbeiterin genuin weibliche Bewegungen des Tabledance aneignet, um gewohnte patriarchale Strukturen aufzubrechen. Dass sich Tragseilers Arbeit im Keller des Pavillons mit eigens für die Installation rot beleuchteten Treppenabgang befindet, ist nicht nur authentischer Verweis auf das Rotlicht-Milieu, es manövriert Betrachter:innen ungewollt in die voyeuristische Position, nur dieses Mal in verdrehter Pose. Plötzlich werden Positionen, die zwischen Erheiterung und Melancholie liegen, dramatisch ernst, Schockmomente und Verstörung sind als Gegenpole intendiert. Carola Dertnigs auf drei Monitoren präsentierter, hindernisvoller Gang durch den Großstadtdschungel mutet zwar bizarr an, entschleiert in seiner Eigenwilligkeit nur umso deutlicher, welche Barrieren Müttern oder Menschen mit Handicap im Alltag begegnen. Das Publikum, es kann sich auf Grund der Realitätsbarriere von Diesseits und Jenseits nicht mit ihr solidarisieren, muss sich auch die Frage stellen, ob es dies überhaupt im Alltag tun würde. 

Interessant scheint es, dass viele der ausgewählten Werke unseren Kontinent verlassen, doch als Bezugsrahmen immer mitdenken. Das zeigt sich in Ursula Grosers Installation TAKE & GIVE, einem Werkkomplex, der aufzeigt, wie eng die Nahrungsmittelproduktion auf anderen Weltteilen mit dem Konsum in Europa zusammenhängt und wiesehr sie darunter leidet. Unmittelbar daran grenzt Bernhard Hetzenauers Laredo,Texas an, eine Videoinstallation über die Geschichte eines real stattgefundenen Schleppertransportes mit all den darin verstrickten menschlichen Schicksalen, sowie Arbeiten, die den Solidaritätsbegriff auf eine komplexere Ebene heben, die im Alltag wenig beachtet wird. Solche Szenerien, sie gehören auch in Europa zur Realität, zeigen Bekanntes fremd. Wolfgang Wirth geht dann auch auf Migration ein, zeigt im Werk Reversibles nicht zuletzt auf einer künstlerischen Landkarte wie politische Ein- und Ausgrenzung funktioniert oder eben nicht funktioniert. Viele Werke beziehen Einzelschicksale mit ein, man denke dabei nicht nur an Robert Gfaders Beitrag Wohnen oder TürmenVorstufe: Einkellern, der sich in einer dokumentierenden Installation mit seiner eigenen prekären Existenz in Form seiner künstlerischen Obdachlosigkeit, dem Verlust seines Ateliers, auseinandersetzt. Verlässt man den im Ausstellungkatalog letzten vorgesehenen Raum in der neuen Galerie mit Werken von Robert Freund, wird man etwas ratlos zurückgelassen. Seine beiden Beitrage Zeit der Wandlungen und Altar der enttäuschten Erwartungen muten sakral an und bestehen aus einem Gewirr an Assoziationen, Andeutungen und ikonografischen Geheimnissen, in dem leicht der Überblick verloren geht. Eine Biene steckt ihren Rüssel in eine giftige Flüssigkeit, zwei Wölfe lauern im Dunkeln, Menschen mit Taschenlampe suchen etwas, ein Ölfass befindet sich vor ihren Füßen. Daneben türmen sich Vasen auf Sockeln, ihr Inhalt lässt an Eingeweide denken. Was hat das alles mit Solidarität zu tun? Erst ein geschärfter Blick enthüllt Anspielungen vollgepumpt mit kapitalistischen und neoliberalen Mustern globaler Großkonzerne sowie die Gesellschaft kennzeichnender Trends und Brands. Es führt unweigerlich zur Frage, inwieweit wir selbst in den korrupten Machenschaften verstickt sind. 

| Florian Gucher

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