Freitag – der krönende Abschluss einer spannenden Woche. Wir haben uns trotz schönstem Bilderbuchwetter im Kinosaal 2 verschanzt und der Diskussion SESSION 4: WAS KANN TEXT? WAS KANN BILD? zwischen Christian Berger (Oscar-Nominierung „Beste Kamera“ für Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte, 2010) und Johannes Kostenzer (INFF – Festivaldirektor und Landesumweltanwalt) gelauscht. Auch der deutsche Naturfilmer Oliver Goetzl verließ kurzfristig seinen Platz im Publikum und komplettierte das Zweiergespann auf der „Bühne“. Fazit: Unser Besuch hat sich gelohnt! Und was wir davon mitgenommen haben, gibt es nun hier nachzulesen:

(c) Dino Mehadzic
Überlasst das Denken den Menschen!
Die Kunst des Dokumentarfilmens liegt nicht darin, dem Zuschauer eine Fülle von Text und noch mehr Text vor den Latz zu knallen. Christian Berger, Kameramann und Professor an der Filmakademie Wien, kritisiert das mangelhafte Vertrauen vieler Filmemacher, was den Verstand ihres Publikums betrifft, und entfernt sich von der weit verbreiteten Annahme, man müsse die Rezipient*innen ununterbrochen unterhalten und sie geradezu mit Informationen überhäufen. Berger hält dies für eine Entmündigung der Zuseher*innen sowie eine Zensur des Filmemachens. Erst wenn der/die Rezipient*in sich selbst überlassen ist und mit dem Gesehenen eigenständig umzugehen versucht, ist er/sie auch aktiv am Geschehen beteiligt. Zu viel Text kann das bloße Beobachten stören und reduziert wertvolles Bildmaterial auf einen reinen Dekorationsgegenstand.
Text soll also auf intelligente Weise, nicht aber mit der Annahme „sonst verstehen’s die Leit nit“, eingesetzt werden. Weg von Beschleunigung und Simplifizierung, zurück zur Konzentration. Berger beruft sich dabei auf die filmische Weisheit „Zeige, was du nicht sagen kannst und sage, was du nicht zeigen kannst“.
Das wahre Filmen
Der Kameramann spricht vom Dokumentarfilm als dem wahren Filmen – einer Beobachtung von Mensch und Land, die er selbst maßgeblich für sein persönliches Wachsen als Filmemacher verantwortlich sieht. Hier lernte Berger feinste Nuancen zu erkennen und ein besseres Gespür für die Bedürfnisse seines Gegenübers zu entwickeln.
Goetzl bringt ein, dass das Schreiben von Drehbüchern in der Branche Dokumentarfilm immer mehr gefordert wird. Er selbst fände es weitaus sinnvoller nach guter Recherche in die jeweilige Welt einzutauchen und alles auf sich wirken zu lassen. In der Natur kommt es immerhin oft anders, als geplant. Berger fügt hinzu, dass man lernen muss in solchen Fällen nicht enttäuscht zu sein. Mensch, Tier und Natur reagieren eben nicht immer nach eigener Idealvorstellung.
Dokumentation und Mensch
In der Arbeit mit Menschen geht es dem Filmemacher vor allem um den Respekt vor Schamgrenzen, Vertrauen, Nähe und Echtheit. Berger kritisiert den schamlosen Umgang vieler Dokumentationen und die Sensationslust, die das Spektakel über die Beziehung zum Menschen stellt. Der Wohnungsputz, bevor das Kamerateam erscheint, die Bratäpfel auf dem Tisch, da gerade Weihnachten ist und es so gut zur Stimmung passt – sowie andere Deformationen, gegen die sich niemand zu wehren scheint, führen dazu, dass die Person nicht mehr als diese wahrgenommen werden kann, die sie ist.
Gesprächspausen, in denen die Beteiligten nach Antworten suchen, sagen oft mehr als die Antwort selbst, werden aber in der Regel aus der Dokumentation herausgenommen. Momente, in denen den Beteiligten ein, zwei Äh’s und Und’s über die Lippen kommen, gelten als störend und werden ebenso entfernt. Berger sieht darin eine Verstümmelung der Gesprächssituation, da gerade diese noch so unbedeutend scheinenden Feinheiten sehr viel Subtext vermitteln und der Dokumentation erst ihre Authentizität verleihen.
„Es geht nicht darum, den Zuschauern zu sagen, was sie fühlen sollen, es geht darum, eine Welt zu schaffen, die es ihnen ermöglicht, Gefühle zu erleben.“ [1]
Berger versteht sein Handwerk und zeigt sich unbeeindruckt von sogenannten Do’s und Dont’s. Denn wer weiß schon, was das Publikum begeistert oder langweilt? Der Filmemacher hat eine simple Lösung für sein Schaffen gefunden: Wenn es den Leuten nicht gefällt, „dann solln sie sich schleichen“.
Noch rasch nachgegoogelt, schließt er mit einem Zitat von Hélène Grimaud ab und verabschiedet sich vom Publikum mit einem nett gemeinten „Schleichts eich“ – uns hat’s gefallen!
MJ
[1] http://www.zeit.de/2016/13/helene-grimaud-pianistin-water