Literatur ist Reisen in eine andere Welt – reisend durch Welten, reale, fiktive, im wörtlichen, oder abstrakten Sinn.
Doch nicht nur das Eintauchen in Literatur ist eine Reise – Reiseliteratur entführt im doppelten Sinn. Um genau solche ging es vom 23. Bis zum 25. Mai 2019 bei den 42. Innsbrucker Wochenendgesprächen. Neben der besprochenen Reiseliteratur und der Reise durch verschiedenste Themen, mussten auch die Anwesenden stehts von einem Vorstellungsort zum nächsten reisen – zwischen Lesungen im ORF Tirol Studio 3, und Gesprächen im Ensembleproberaum des Tiroler Landestheaters.
Somit war die Szenerie allein schon wie ein Bilderbuchausschnitt aus den Forschungsgebieten der Vergleichenden Literaturwissenschaft – Radio, Fernsehen, Theater, Literatur. Und nicht nur thematisch hatte die Veranstaltung komparatistische Züge – sie wurde von einer Lehrveranstaltung – Literatur in der Praxis – begleitet.
Und alles stand in einer Diskussion. Alles diskutierte – wenn auch zuerst über Reisen im buchstäblichen Sinne und die Folgen (Klimawandel, kultureller Austausch und Zerstörung etc.), und erst später weitgehend über Literatur und den Schreibprozess. Und besonders die Student*innen mischten sich in die Gespräche ein.
Somit waren die Gespräche eine Reise im vielfachen Sinn: zwischen jung und alt, zwischen weltlich politischen und literarischen Themen, zwischen dem Konstruieren von Geschichten und dem Eintauchen in ihnen, zwischen einem Ort und dem nächsten, zwischen Gespräch und Diskussion.
Literatur ist Reisen in eine andere Welt – reisend durch Welten, stehend in Bewegung sein. Ein ständiges Dazwischen – die Bewegung ist das Ziel – kein Festsetzen auf Begriffen und Meinungen, eine Reise der Bedeutung, der Meinung, der Ansicht, der Begrifflichkeit und Zuschreibung, eine Reise der Definition, statt nur reisen nach Definition. Eine Reise die den Reiseautoren vielleicht noch nicht ganz bewusst ist. Jeder Beitrag, eine neues bisschen Karte, eine Weggabelung, eine weitere Option. Gibt es nur einen richtigen Weg? Gibt es nur einen Weg? Dass die Antwort nein lautet, sollte gerade den Vielbereisten bewusst sein. Dass dies aber auch für das Bewusstsein gilt – da bedarf es noch mehr Bewegung.
Viele Missverständnisse, im Kreis gehen, und schließlich zurück zur Literatur. Viele Bahnen, die alle teilten, oder sich nur innerhalb dieser widersprachen. Aber deswegen heißt die Veranstaltung auch „Gespräche“ statt nur „Lesung“, allseitige Teilnahme, statt Einbahnstraße. Und wenn auch der Name „Gespräch“ offen zugänglicher für alle wirkt – mehr Diskussionskultur wäre schon erwünscht gewesen. Denn ein Beitrag ist kein Angriff, und nur Verteidigungshaltung bringt niemanden näher – gerade beim Reisen zeigt sich das ja: Wer nur abblockt und zurückwirft, der bleibt immer auf Armlänge zum Gegenüber, kein Verständnis und kein Annähern. Man muss schließlich seine Position nicht verlassen, um den anderen mehr zu verstehen. Weder beim Reisen, noch beim Diskutieren.
Somit handelte die Veranstaltung vom Reisen, auch wenn die Reise im diskursiven Sinne mehr vom Fernsehen als vom wirklichen Erleben hatte – mehr ein Raum für den Echo-Chamber „Autor“, statt ein verständnisbringender Austausch verschiedener Positionen.
Literatur ist Reisen in eine andere Welt – reisend durch Welten, reisend stehen bleiben. Genau letzteres schien das Credo der Gesprächsrunde zu sein: reisend stehen bleiben auf festgefahrenen Meinungen. Reisend stehen bleiben auf einem „ich war dort, ich weiß darüber Bescheid“. Reisend sitzen bleiben und andere der Unkenntnis beschuldigen.
Literatur ist eine Reise, Reisen ist oft der Aufbruch ins Ungewisse. Ungewiss waren der Ausgang oder Zustand dieser Gespräche – somit betrat das Publikum eine Reise in die Meinungen der Autoren (hier wird bewusst kein Gendern oder * verwendet, waren doch alle gegen diesen Sprachgebrauch). Von wechselseitigem Austausch allerdings, kann allerdings nicht die Rede sein. Jedoch waren die (einige) Autoren auch der Ansicht, Reisen sei Zerstörung für andere Kulturen, wo die „Touristisierung“ von Schauplätzen und Stadtteilen, die Verschmutzung der Luft, und das Nehmen der vorherrschenden Kultur und Austauschen durch die eigene, im Vordergrund stehen. Generell fielen nur allzu oft die Argumente in die Position „wir sind fortschrittlich, sie sind es nicht; wir wissen es besser, sie sind alle so“. Und nur weil über die „Demut und Scham“ über die eigene „privilegierte Position“ geredet wurde, war die Argumentation doch nicht unschuldiger. Wenn allerdings dies die Auffassung vom Reisen, in einer Gruppe von Reiseautoren ist, dann wundert es nicht, oder besser gesagt, dann ist es leichter nachvollziehbar, dass der Charakter und die Qualität der Argumentation diese Einseitigkeit und Rücksichtslosigkeit widerspiegeln.
Literatur ist Reisen in eine andere Welt – reisend durch Welten, reale, fiktive, im wörtlichen, oder abstrakten Sinn.
Die Gespräche eine Reise im vielfachen Sinn: zwischen jung und alt, zwischen weltlich politischen und literarischen Themen, zwischen dem Konstruieren von Geschichten und dem Eintauchen in ihnen, zwischen einem Ort und dem nächsten, zwischen Gespräch und Diskussion; zwischen Verständnis und Missverständnis, zwischen Wänden und Räumen, zwischen Reisen in Bewegung und Reisen im Stehen.
Zwischen reisend Stehenbleiben und Gesprächen über Bewegung.
Das waren die 42. Innsbrucker Wochenendgespräche – anders als erwartet, ums Reisen ging es, aber mehr um das konkrete, als das literarische und diskursive.
RD