Was herauskommt, wenn angehende Architekt:innen auf Philosoph:innen treffen? – ziemlich verrückte Ideen: von vertikalen Friedhöfen, anziehbaren Natur-Bodies bis hin zu Gesimsen, in denen sich Jugendliche verkriechen können…

Im Kunstraum Innsbruck sind derzeit die Türen zur Ausstellung CO-HABITATION geöffnet. Werke von Patrick Bonato, Gina Disobey, Ina Hsu, Roland Maurmair und Nicole Weniger beschäftigen sich darin mit Fragen um die Zukunft alpiner Städte und das Zusammenleben von Menschen und Tieren.
Begleitet werden die künstlerischen Beiträge von Projektarbeiten Studierender der Universität Innsbruck. In Kooperation mit dem Institut für Gestaltung.studio2 (Architektur) und dem Institut für Philosophie bringt Kuratorin Ivana Marjanović einen interdisziplinären Austausch in das Konzept ein, dessen Ergebnisse im zweiten Teil der Ausstellung NEW (URBAN) SPACES FOR ALL SPECIES zu sehen sind. Wohin der Dialog zwischen den beiden Instituten geführt hat, dem soll in diesem Beitrag nachgegangen werden.
What Kinds of
Human Disturbance
Can Life on Earth
Bear?
– lautet die einleitende Frage im Werk Arts of Living on a Damaged Planet (2017) von Anna Tsing.
Mit Fragen wie dieser hatten sich Architekturstudierende in ihren experimentellen Arbeiten auseinanderzusetzen. Feldforschend haben sie den Stadtraum Innsbruck erkundet und sind dabei wortwörtlich Spuren von Lebewesen nachgegangen. Die entstandenen Projekte zeigen uns, dass ein anderer Blick auf unsere – oft selbstverständlich wahrgenommene – Umgebung neue Welten eröffnet.
Weil es uns interessierte, wie es den Studierenden persönlich bei den Erkundungen ergangen ist, was ihr Denken in Bewegung setzte und inwiefern sie dieses Thema noch weiterhin beschäftigen wird, haben wir sie dazu befragt.
Von den Architektur-Collagen inspiriert wurden die Antworten auseinandergenommen, und in neuer Chronologie wieder angeordnet. Zu lesen gibt es nun Auszüge, die hier in Zitat-Fragmenten für sich stehen. Sie sollen dazu anregen, die Gedanken weiter zu spinnen…

VERORTUNGEN
Eine Vielfalt an Tieren, Pflanzen und deren Lebenswelt ist nicht wie geahnt nur am Land verortet, sondern vor allem auch in der Stadt
Ich beschäftigte mich mit den umliegenden Agrarflächen rund um Innsbruck. Mit den Spezies, die zwischen den Siloballen zu finden sind
Wir wurden in die Stadt geschickt, um „Natur“ und „Cohabitation“ zu suchen. Nach einigen Steifzügen durch Innsbruck bin ich allerdings, auch bedingt durch den Lockdown, in meiner Wohnung gelandet. Ich habe versucht, Cohabitation und „unsichtbare Naturen“ in meiner direkten Umgebung zu finden
Warum ziehen Tiere vom Land in die Stadt? Welche neuen und unerwarteten Lebensräume entstehen dadurch? Tiere haben gelernt, sich im Laufe der Zeit anzupassen, mache Arten sind sogar mutiert, um mit den Abläufen der Stadt eine Symbiose einzugehen. Tiere und Pflanzen holen sich die Stadt zurück, besonders dort, wo wir nicht genau hinsehen…
Es geht um das Kohabitieren von Mensch und Tier, Gebautem und Umwelt, aber auch um das Koexistieren von Leben und Tod
Für die menschliche Bevölkerung ist es ein spiritueller, vom städtischen Treiben abgegrenzter Ort zum Trauern, für die Tierwelt hingegen besteht diese Grenze nicht. Für sie ist es die Insel des Lebens, ein geschützter, ruhiger Grünraum in der Stadt, der zahlreiche Futterquellen und Lebensräume bietet
Inspiriert haben mich Dachgesimse, auf denen sich die Stadttauben gerne niederlassen, bevor sie am Boden zwischen unseren Füßen landen. Ich sehe die Dachgesimse als eine Art Verbindungsebene zwischen der Luft und dem Boden, wo sich Tauben verstecken können. Mein Entwurf soll mithilfe von Gesimsen Nischen und Höhlen schaffen, in denen sich sowohl Tauben als auch Jugendlichen verkriechen können
BAUEN
Es war eine Herausforderung, Raum zu gestalten, der nicht nur für Menschen gedacht ist – vom anthropologischen Entwurfsgedanken wegzukommen
Das Zusammenleben mit anderen Spezies hängt mit gebauten Infrastrukturen zusammen: Wie wir uns abgrenzen, wie wir neue Verbindungen schaffen und Lebensräume generieren – das ist eine Aufgabe an uns Architekt:innen
Die Arbeit hat mir gezeigt, dass Innsbruck wenig inklusiv ist. Innsbruck ist gemacht für gesunde, unabhängige Menschen, nicht aber für Menschen mit Beeinträchtigung und auch nicht für Tiere und andere Lebewesen
Das entworfene Stadtteilfriedhofskonzept sieht eine Dezentralisierung von Friedhöfen und somit eine Annäherung des Themas Sterben an den Alltag vor
Korridore stellen im Lebensraum von Tieren und Pflanzen einen wichtigen Faktor dar. Welche Wege „hinein“ und wieder „hinaus“ gibt es bzw. sind für sie noch übriggeblieben?
Gucklöcher in unnahbare Orte. Räume, die von einer Ausleuchtungsproblematik und von Lichtgrenzen erzählen
Wir haben versucht, den Kreislauf des Lebens in ein Grundkonzept für architektonische Interventionen zu übersetzten. Geben und Nehmen. Nähren und genährt werden. Da wir Menschen oft nur am Prozess des Bedienens an der Umwelt beteiligt sind, wollen wir mit unseren Projekten zeigen, wie der Mensch bei gleichzeitiger Befriedigung seiner Bedürfnisse auch etwas an die Umwelt zurückgeben kann

WOHNEN
Die unsichtbaren „Naturen“, die ich versucht habe festzuhalten und neu zu konstruieren, sind ein Zeichen dafür, dass der Mensch selbst in totaler Abhängigkeit zu anderen Spezies steht
Wo sind die Tiere, die oft unsichtbaren Bewohner dieser Stadt?
Meine Suche nach Spuren, Fundstücken und Hinterlassenschaften beinhaltet die Thematik einer Wunderkammer
Orte und gefundene Objekte wurden miteinander verknüpft, Geschichten wurden gesponnen, neue Orte und Objekte spekulativ hinzugefügt – Alltagssurrealismus
Stadttauben begegnen uns ständig, aber wir nehmen sie kaum wahr, und wenn, dann nur als störend. Tauben sind überall, gehören aber nirgends dazu. Ich möchte Raum für Stadttauben schaffen.
Ich habe mich mit verschiedenen Maßstäben rund um den menschlichen Körper beschäftigt. Den Fokus habe ich auf die Haut gelegt, die ein großartiges Habitat für unzählige Mikroorganismen wie Bakterien, Viren oder Milben birgt und gleichzeitig der elementarste Schutz unseres Körpers ist. Dass der Mensch kein Individuum, sondern ein Gesamtlebewesen (Holobiont) ist, weckt Fantasien: Die Wirklichkeit wird skaliert, neue Sphären des Zusammenlebens werden geschaffen und eine spekulative traumartige Landschaft entsteht
Friedhöfe fungieren einerseits als Übergangsbiotope und Lebensraum für viele Arten – andererseits als geschützter Raum zur Kontaktaufnahme zwischen den Lebenden und den Toten
Durch das menschliche Handeln werden viele der natürlichen Kreisläufe unterbrochen. Um in einer nachhaltigen, beständigen und für alle Arten gerechten Umwelt zu leben, ist es wichtig, diese Kreisläufe zu erhalten. Natürlich bedarf es teilwiese einer neuen Interpretation der Kreisläufe. Natur ist anpassungsfähig und intelligent, man muss ihr nur Raum geben.
DENKEN
Wie gehen wir Menschen mit dem Tod um? Wie können wir ihn als Bestandteil unseres Lebens akzeptieren, anstatt ihn ausgrenzen? Wie lässt sich die Auseinandersetzung mit dem Tod mehr in den Alltag integrieren?
Ausgangspunkt war der Garten. Ein eingezäuntes Areal gezähmter Natur. Lois Weinberger beschreibt den Garten als einen Ort, der überall sein kann: «der Garten ist ein Denkprozess.»
Ich habe mich mit den Distanz-Theorien von Edward Hall beschäftigt: Wie nah lassen wir andere Menschen an uns herankommen? Wie beeinflussen Distanzen unsere Beziehungen zu anderen Menschen? Was passiert, wenn wir die gleichen Gedankenspiele mit anderen Spezies machen?
Was ist ein Ort?
Ausgangspunkt meiner Arbeit war das Paradies, mit all seinen Facetten und Bedeutungsebenen. Dieses führte mich zu Michel Foucaults Utopien und Heterotopien, zu Marc Augés Nicht-Orten…
An einem Ort ist man da, nicht so an einem Nicht-Ort. Diese sind gekennzeichnet von Einsamkeit. Es gibt kein Ankommen. Es sind Transiträume ohne Interaktion
Auch die Fundstücke lassen diese leeren Räume erahnen
-30% auf der Rolltreppe ins 4. Obergeschoss, der Sourcream Dip vor dem Eingang des Hilton Hotels, die Schwechater Bierdose im Parkhaus unter dem Fitnesscenter – Konsumgüter, die keinen Rückschluss auf eine Kohabitation erlauben
Wie Donna Haraways in Staying With The Trouble schreibt, glaube ich, dass es schon wichtig ist, in Bewegung zu bleiben, nicht zu ruhen, sich fortzubewegen
Ein Zitat von Guy Debord, das meine Arbeit begleitete: „Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Grad der Akkumulation, dass es zum Bild wird“ (aus Die Gesellschaft des Spektakels)

An den Antworten beteiligt: Daniela Albrecht, Sophia Niederkofler, Franzisca Rainalter, Lara Tutsch und Carina Wissinger.
| Brigit Egger
Link zur Ausstellung: CO-HABITATION* im Kunstraum Innsbruck
*in Kooperation mit Birgit Brauner, Karl-Heinz Machat, Michaela Bstieler und Andreas Oberprantacher / Universität Innsbruck & ARCH+ Zeitschrift für Architektur und Urbanismus / Berlin
Dieser Beitrag ist im Rahmen der Lehrveranstaltung „Philosophie der Gegenwart: Co-Habitation. Ein Projektseminar“, geleitet von Andreas Oberprantacher, entstanden (SoSe 2021, Universität Innsbruck).
Wieder eoin Beweis: Architektur löst sich auf und wird in wenigen Jahren Geschichte sein..
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