Das Stück FETTES SCHWEIN, geschrieben von Neil LaBute, wurde von Regisseur Peter Lorenz im Zuge der diesjährigen Tiroler Volksschauspiele erstmals in Tirol inszeniert. Im Zentrum des Stücks steht die mehrgewichtige Helen (gespielt von Anna Lena Bucher) und der Umgang ihres Umfelds mit ihrem derzeit nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechenden Körper. Es geht um Tom (Josef Mohamed), der sich in sie verliebt, dazu aber nicht stehen kann – aufgrund von Menschen wie seiner Exfreundin Jenny (Katarina Hauser) und seinem Freund Arthur (Jakob Egger), deren Wertvorstellungen sich ganz und gar auf ein vermeintlich makelloses Äußeres zu beziehen scheinen – nicht zuletzt, um sich dem unbequemen Inneren weniger widmen zu müssen. Vor allem ist es aber Toms eigene Feigheit, die seinem Glück im Weg steht und die sinnbildlich für ein großes Problem unserer heutigen Gesellschaft steht.

komplex im Gespräch mit Regisseur und Schauspieler*innen des Stücks
An Peter Lorenz:
„Fettes Schwein“ wurde in Tirol nun zum ersten Mal aufgeführt. Worin siehst Du den Mehrwert, dieses Stück (hier) zu zeigen?
Peter: Das Stück ist provokativ, aber auch unterhaltsam. Das eignet sich gut, um Menschen zu einem Denkanstoß zu verführen. Urteile auf Äußerliches zu beschränken ist auch in Tirol weit verbreitet und ich glaube, jede*r im Publikum kann ein Stückchen von sich selbst oder der Realität um sich herum im Stück wiedererkennen. Dadurch erhoffe ich mir, dass Menschen über Blicke und Sprache, die verletzen können, nachdenken und diskutieren.
Auch der Titel des Stücks ist sehr provokant – wie stehst Du dazu? Empfindest Du ihn als zielführend oder als unangebracht?
Natürlich empfinde ich den Titel auch als provokant – aber das ist eben Neil LaBute. Man darf ja auch ein Publikum herausfordern. Es bleibt die Hoffnung, dass die Provokation im Titel ein paar neugierige Zuschauer*innen anlockt. Es gab aber auch schon einige Menschen, die bei „Fettes Schwein” bei den Tiroler Volksschauspielen an Bauerntheater und Stallthematik dachten. Die Provokation liegt eben im Kontext.
Was war für Dich die besondere Herausforderung an diesem Stück? Was war Dir bei der Inszenierung wichtig?
Das Stück ist geschrieben wie eine amerikanische TV-Serie – wie zum Beispiel „Friends”: wenige Protagonist*innen, realistische Settings, Späße und Provokationen. Einerseits war es eine Herausforderung, den Text kritischer und aktueller zu machen, wie wir es unter anderem mit der Einarbeitung des Begriffs „Mehrgewichtig” versucht haben. Andererseits war es ein Balanceakt, die Handlung möglichst realistisch vor Ort nach Tirol zu verlegen, um die Fragen des Stückes in einen zweifellosen Lokalbezug zu setzen und dabei nicht in einen durchgehenden Naturalismus zu verfallen. Ich wollte das Publikum in einem einfachen und bekannten Umfeld wie der ersten Szene vor dem Vorhang aufwärmen, sodass sie sich später auf den zunehmenden Abstraktionsprozess der Inszenierung einlassen können. Die Requisiten werden spärlicher, der Raum abstrakter und am Schluss gibt es nur noch die Behauptung, die in der Vorstellungskraft des Publikums aufgeht. Es war mir wichtig, das Publikum in Telfs zu erreichen, also einen zugänglichen und unterhaltsamen Abend zu gestalten, der niemanden vor den Kopf stößt und trotzdem zum Nachdenken anregt.
War es schwierig, dabei keine Klischees zu bedienen und nicht genau das zu reproduzieren, was man eigentlich kritisieren möchte – wie das gängige Schönheitsideal? Oder ist diese Kritik bereits im Text klar genug formuliert?
Das Stück ist voll von Stereotypen und Klischees. Auch in der eigenen Vorstellungskraft dominieren die gängigen Bilder. Diese in mir selbst und auch bei den Schauspieler*innen zu durchbrechen war eine riesige Aufgabe im Probenprozess. Für mich war der Schlüssel zu diesem Text gegen ebenjene Stereotypen und Klischees anzuspielen. Dies bringt auch vielschichtige Charaktere und damit Leben und Menschlichkeit in die Figuren. Bereits in der Adaption des Textes habe ich versucht, allem Problematischen etwas entgegenzusetzen. Zum Beispiel kann ein Mann im 21. Jahrhundert nicht unkommentiert eine Frau „hysterisch” nennen, wie Tom es in der 4. Szene tut. Ich habe mich allerdings dazu entschieden, solche Passagen nicht einfach zu streichen, sondern in einen Moment der Kritik zu verwandeln. Jenny erwidert in unserer Fassung „Nenn mi nit hysterisch!”. Eine klare Ansage. Ja, wir reproduzieren weiterhin. Dem werden wir wohl nie entkommen, aber wir reproduzieren mit Kritik. Nichts bleibt ohne Risse stehen und durch diese Risse kommt irgendwann das Licht – die Hoffnung, dass sich etwas in unserer Gesellschaft verändert, weil wir uns ändern können.

An die Schauspieler*innen:
Was war für euch die größte Schwierigkeit an euren Rollen?
Anna Lena: Bei Helen fiel es mir anfangs sehr schwer, die Rolle von mir persönlich abgekoppelt zu sehen und mich nicht ständig zu fragen: Kann ich das so spielen oder verrate ich dann andere mehrgewichtige Menschen? Wie wird die Rolle stark und aussagekräftig?
Katarina: Wie (fast) alle Figuren im Stück, ist Jenny, die anfangs das Bild einer frustrierten, eifersüchtigen Zicke abgibt, letztendlich auch nur ein Produkt von toxischen gesellschaftlichen (Schönheits-)Idealen, denen sie fast perfektionistisch zu entsprechen versucht. Das ist eigentlich ziemlich tragisch, weil das sehr unglücklich macht. Das war Regisseur Peter Lorenz und uns allen ein wichtiges Anliegen – dass die Figuren im Stück nicht an und für sich in gut oder böse unterteilt werden, sondern dass auch sie aus nachvollziehbaren (wenn auch nicht immer aus den richtigen) Gründen handeln. Unser Intendant Christoph Nix hat während der Probenzeit etwas sehr Interessantes zu mir gesagt: Jenny brauche als Überschrift LIEBE. So könne man sie aus einer reinen Ich-Bezogenheit in eine Mehrdimensionalität holen, die ihr gerecht würde. Das habe ich mir sehr zu Herzen genommen, auch wenn es mich zunächst in eine kleine Krise gestürzt hat, weil ich meine bisherige Rollenentwicklung von Grund auf umstrukturieren musste. Der Lohn für diesen Kraftakt war dann allerdings umso erfüllender. Jenny wurde liebenswerter und menschlicher.
Was waren eure persönlichen Highlights an eurer jeweiligen Figur?
Anna Lena: Vielleicht sogar der Satz: „I bin nit so sportlich, würde man gar nicht vermuten, oder?“ weil der so absurd ist für mich und doch wieder ein Klischee über Mehrgewichtige auf den Punkt bringt. Im Publikum wird da auch immer gelacht, was auch wieder zeigt wie Humor funktioniert. Mit einer großen Portion Selbstironie. Ein anderer Moment, den ich sehr mag, ist wenn Helen für die Dateszene rauskommt und sie das erste Mal im hautengen, rückenfreien, gelben Kleid zu sehen ist. Da hab ich nicht nur von Tom schon ein bewunderndes „Oh wow“ gehört.
Jakob: Mein Highlight ist der schweinefarbene Anzug, den Arthur trägt. Er unterstreicht alles, für das die Figur steht.
Gibt es etwas, das ihr lieber anders dargestellt hättet?
Josef: Naja, hätten wir den Text selber geschrieben, wäre sicher vieles anders (kräftigere und mehrdimensionalere weiblich gelesene Figuren auf jeden Fall) – aber es ist eben Neil LaBute. Und das Stück ist eine Provokation und eine Herausforderung an Theaterteams, aber auch ans Publikum und das ist vielleicht ganz gut so, gerade hier in der Region.
Jakob: Als Arthur hätte ich mir gerne mehr Begegnungen mit Helen gewünscht. Einerseits weil Anna Lena eine wahnsinnig tolle Schauspielerin ist, andererseits weil ich es gerne gesehen hätte wie Arthur von ihrem Humor, ihrer Leichtigkeit und Schönheit einen Wandel in seinem Denken hinlegt. Darum ging es in den Stück aber leider nicht.
Könnt ihr euch vorstellen, dass ein solches Stück – in der Form, wie es inszeniert und dargestellt wurde – Auswirkungen in Bezug auf die Beurteilung von gängigen Schönheitsidealen und den Umgang damit hat? Wenn ja, inwiefern?
Katarina: Ja, ich glaube, dass Theater prinzipiell Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse hat. Das Stück „Fettes Schwein“ ist zwar schon mehr als 15 Jahre alt und damit vielleicht nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand, aber das Thema ist nach wie vor relevant. Toxische (Schönheits-)Ideale bestimmen auch heute noch unseren Alltag und so ist es auch wichtig und richtig, das in einem sensiblen, kritischen Umgang auf die Bühne zu stellen
Josef: Wenn manche ihre eigene Sprache reflektieren, weil sie sich wiedererkennen in einer der Figuren und vielleicht vor dem nächsten vermeintlich harmlosen Bodyshaming, dem nächsten blöden Kommentar ein zweites Mal überlegen, dann haben wir schon viel gewonnen.
Dazu gehört, gewisse Klischees und Bilder auf der Bühne zu reproduzieren und so zu zeigen, wie hart unsere Gesellschaft sein kann, wie tief mittlerweile zum Beispiel internalisierte Fettphobie in vielen Köpfen steckt. Und im allerbesten Fall sehen sie das Problem sogar in einer größeren Bandbreite:
Die Figur Arthur sagt im Stück: „Die Leute fühlen sich unwohl, wenn einer anders ist. Verstehst du? Schwuchteln, Idioten, Krüppel, Fette. Sogar die Alten. Das macht uns Angst oder so“. Darin steckt leider eine bittere Wahrheit und darüber gilt es zu sprechen, in der Hoffnung, dass wir ein bisschen was bewegen können und auch wenn es nur ein einziger Mensch ist, der anfängt zu überlegen!
| Sarah Caliciotti