Nach einigen Ortswechseln in seinem elfjährigen Bestehen landete das Heart of Noise Festival dieses Jahr zum ersten Mal in der Innsbrucker Dogana und präsentierte in neuer Umgebung ein vielseitiges Programm. Wieder waren wir dabei und genossen ein bisschen rhythmische Abwechslung im sonst so monoton schlagenden Herz der Alpen.
Hinter vielen Programmpunkten des diesjährigen Heart of Noise Festivals steckte eine ganze Menge Theorie und Maschinerie. Der Auftritt von Robert Henke, welcher im Projekt CBM 8032 AV vierzig Jahre alte, klobige Computer durch Coding zum Musikmachen bringt, hätte leicht zu theoretisch oder verkopft daherkommen können – der sympathische Komponist, welcher sein Konzert am Freitagabend mit einer kleinen Rede zu den technischen Hintergründen seiner Musikproduktion eröffnet, macht mit seinem Auftreten als eine Art verrückter Wissenschaftler im 80er-Jahre Computerlaboratorium die Show, die folgt, aber nur lebendiger. Auch ohne jede Hintergrundinformation überzeugt das Spiel aus verschrobenen, retro-futuristischen Visuals und Tongeweben. Bei der Präsentation der diesjährigen Heart of Noise Platte, gestaltet von Lukas Moritz Wegscheider (mehr dazu hier) bricht ein langsam anrollendes, auditives Gewitter über uns herein, das uns im zweiten Drittel ziemlich die Gehörgänge durchputzt, bevor uns der Innsbrucker Klangkünstler schließlich durch engelsgleiche Chöre leicht verwirrt in die Pausenmusik entlässt.

Versetzt einen Robert Henke in eine Art vergangene Zukunft der 1980er-Jahre, so schicken uns NO1 wenig später ein paar Jahrhunderte nach vorne. Wiederholt nennen andere Besucher:innen im Gespräch danach das Projekt „ROTOЯ“ als ihr Programmhighlight des ersten Abends. Zu sehen ist auf der Bühne dabei, wie der Name verspricht, ein riesiger Rotor, der einem überdimensionalen Ventilator gleicht und das Publikum mit ausgespienen Musik- und Lichteffekten in seinen hypnotischen Bann zieht. Es hat etwas von einer dystopischen Zukunftsvorstellung, wie man sie sich vielleicht vor ein paar Jahrzehnten von den 20er Jahren des neuen Jahrtausends gemacht hätte: Menschen sitzen in Stuhlreihen und starren im flackernden Stroboskoplicht eine tanzende Maschine an. In der Raucherpause fantasieren wir von einem Heart of Noise 2200, bei dem wahrscheinlich auch im Publikum nur mehr Rotoren sitzen werden.
Das samstägliche Abendprogramm kommt dieses Jahr mit einer Reihe von visualzentrierten Noise-Performances zwar etwas einseitig daher, die Acts im Musikpavillon an beiden Nachmittagen könnten dafür kaum unterschiedlicher sein. Zu meinen Highlights gehört hier die aus Zypern stammende Musikerin Maria Spivak, die mit ihrem düsteren Synth-Pop genau die richtige Mischung aus ominös und melodisch für den Moment mitbringt. Ein Act, der im Booklet sogar verstohlen als „schöne Musik“ bezeichnet wird – im besten Sinne zurecht, wie ich finde. Der kleine, offene Pavillonraum kann eine angenehme Menge an Publikum aufnehmen, der Rest lungert draußen im Gras herum oder späht zum Fenster herein. Viel visuelles Aufgebot braucht es hier auch nicht: die sich im Wind wiegenden Blätter der umstehenden Bäume und im Nebel gleisenden Sonnenstrahlen, die durch die Fenster und offenen Türen hereindringen, verzaubern den Septembernachmittag mühelos.
Im Kontrast dazu erweist sich die Dogana am Abend als ein herausfordernder Veranstaltungsort: die schiere Größe der Location lässt das treue Stammpublikum visuell und gefühlsmäßig schrumpfen. Der Weg nach draußen, zum Klo oder zur Bar, führt hier durch eine ungastliche und viel zu große Vorhalle, die jegliche ausgelassene Stimmung sofort auf Normaltemperatur herunterkühlt. Ein verschrobenes Festival wie das Heart of Noise bedarf vielleicht einfach einer gewissen gemütlichen Enge und Dunkelheit, die das sonst oft für diverse Messen und Bälle genutzte Gebäude schlicht nicht bieten kann. Auch draußen bleibt es etwas unbehaglich, auf dem kleinen Stück Vorplatz direkt an der Straße fühlt man sich mehr abgestellt als aufgehoben. Die entspannte Daydrinking- und-Herumhäng-Atmosphäre, die sich üblicherweise auf den vom Institut für experimentelle Architektur./Studio3 konzipierten Bühnen und Sitzmöglichkeiten ausbreitet, kann hier nur begrenzt aufkommen, auch wenn die diesjährige interaktive Installation Barbara Schreisand das Festival und den Ort erneut visuell bereichert.
Dass an den gefühlvollen Indie-Pop der Hamburger Band Die Sterne, welcher zweifellos eine ganze Reihe von Menschen, die nicht gerade zum HoN-Stammpublikum gehören, zum Kauf eines Tagestickets animierte, die experimentelle Death Metal Band Ad Nauseam anschließt, kann man nur als programmgestalterischen Geniestreich bezeichnen. Jedes Jahr gibt es einen Act oder eine Kombination, die ein wenig vor den Kopf stößt, auch treue Festivalbesucher:innen aus dem Konzept bringt und Neugierde für das, was da noch kommen kann, schürt.
Die japanische Komponistin Kyoka schließt das Festivalprogramm dann am Sonntagabend mit ihrem mit dem irischen Musiker eomac entwickelten Projekt Lena Andersson. Die Musikerin bringt dabei einen so mitreißenden Enthusiasmus mit, dass nach einigen Minuten die ganze Halle in Bewegung kommt und das dieses Jahr bewegungstechnisch eher gemächliche Festival tanzend endet. In üblicher Heart of Noise Manier kann man sich dabei aber nie zu lange auf einen Beat einlassen: sobald man denkt, man habe begriffen, wie man sich zum betreffenden Geräuscheschwall zu bewegen hat, durchbricht die Musikerin alles bisherige und beginnt neu und völlig anders. Die Location ist dann plötzlich doch nur mehr Nebensache: wie jedes Jahr konnte das Heart of Noise die Besucher:innen zum tanzen, träumen, schlafen und meditieren bringen, wie jedes Jahr kam es mit unverhofften Wendungen um die Ecke und bot Raum für Seltsames, manchmal schwer Erträgliches und viel Schönes.
| Delia Salzmann