Seit Kurzem gibt es im Künstlerhaus Büchsenhausen ein Fotolabor. In zweitägigen Workshops bietet sich hier die Möglichkeit, das Entwickeln von Filmen und den Umgang mit der Dunkelkammer kennenzulernen. Ein Erfahrungsbericht.

Es ist ein beißend kalter, strahlender Februartag. Die Fensterfront des Büchsenhausen Analog Photo Lab ist beschlagen, wir sitzen innen eng um den Tisch gedrängt, jede:r mit einer Kamera auf dem Schoß. Acht von uns sind mehr oder weniger unerfahren, zwei sind da, um ihr Wissen zu teilen: die Fotografen Daniel Jarosch und Patrick Ausserdorfer richteten das Labor primär zum Entwickeln ihrer eigenen Bilder ein und bieten seit mehreren Jahren nebenbei Einführungsworkshops an, bisher in der Bäckerei. Letztes Jahr zogen sie dann in den gemütlichen kleinen Raum im Innenhof des Künstlerhaus Büchsenhausen um. Hier werden wir in den nächsten zwei Tagen unsere Analogkameras näher kennenlernen, Fotos machen und diese anschließend selbst entwickeln.
Nach einer kurzen Einführung begeben wir uns, leere Filme wartend in den Apparaten, auf die Suche nach Bildern. Die Innsbrucker Straßen sind für viele von uns altbekannt und abgesehen, wir müssen genau schauen, um einen besonderen Moment zu entdecken, schnell reagieren, um ihn einzufangen. So flüchtig ist ein spontanes Lachen oder Grübeln am Gesicht des Gegenübers, so schnell ins Statische verkehrt. So schnell verschiebt sich ein spezieller Schatten, läuft ein Passant aus dem Blickfeld, so schnell wandeln sich die ewig belebten Formen der Stadt. Am Sportplatz eine Begegnung mit einem Fremden, der unvermittelt anbietet, die für mich recht grotesk anmutenden Gerätschaften zur Leibesertüchtigung zu demonstrieren, die ich gerade fotografiere: Rumpfbank, Rückenpresse. Namen, die an Foltergeräte erinnern. Ich drücke ein paar Mal auf den Auslöser, bedanke mich hastig und laufe weiter, um die Gruppe einzuholen.

Zurück im Labor gilt es dann, die eben festgehaltenen Momente aus ihrer blechernen Dose zu befreien. Die Prints können bei Rotlicht ausgearbeitet werden, der erste Teil des Entwickelns aber findet in völliger Dunkelheit statt. Wir üben den Umgang mit den Materialien zuerst kurz im Tageslicht und wagen uns dann in Zweiergruppen hinter die lichtdichte Tür. Dose öffnen, Film herausholen, Ecken anschneiden, Film aufrollen, Spule abschneiden. Wir tasten unbeholfen nach Spulen und Scheren. Blindheit für Bilder, Dunkelheit für Licht. Ist der Film erst einmal sicher in seiner Dose verstaut, kann er ein Prozedere aus verschiedenen Flüssigkeiten durchlaufen, wodurch die Bilder als Negative auf der Folie erscheinen sollen. Jedes Mal, wenn ein Film aus dem Wasserbad kommt und schwarze Schemen aufweist, als wir ihn ausrollen und zum Trocknen aufhängen, atmen wir wieder auf: „Es ist was drauf!“. Der erste Teil ist geschafft.
Am zweiten Tag geht es in Kleingruppen an das Vergrößern und Entwickeln der Bilder auf Papier. Weil jeder Schritt zeitaufwändig ist, müssen wir anhand der winzigen Negative eine Auswahl treffen. Dann kehren wir zurück in die Dunkelkammer. Blende, Belichtungszeit, Kontrast, Schärfe. Bisher alles bloße Worte, antippbare Angaben auf einem Display vielleicht, werden zu Rädchen und Schaltern an der Kamera und hier schließlich zu physischen Realitäten: eine Uhr, die die Zeitspanne misst, in der Licht auf das Fotopapier fallen darf. Die raue Oberfläche der scharfgestellten Projektion, nur unter der Lupe sichtbar. Eine kleine Unaufmerksamkeit im Umgang mit den lichtempfindlichen Materialien und das Bild ist hinüber, das Papier wird im Chemiebad völlig schwarz, verhüllt, was es hätte zeigen sollen. Dann das Risiko von unliebsamen Überraschungen am Foto: Flecken, Schatten, Staub. In der Dunkelkammer wird ein Bild zum Ergebnis eines physischen Prozesses und trägt bisweilen seine Spuren.

Die Instant Gratification, an die digitale Fotografie uns gewöhnt hat, wird uns hier völlig entzogen. Jedes Bad hat seine Zeit, jeder Prozess seine notwendige Dauer. Eineinhalb Minuten, eine Minute, zwei Minuten. Den Film herausholen, ins nächste Bad legen, die Uhr neu stellen. Dazwischen: warten. Im Schein des Rotlichts, umwabert von chemischen Dämpfen und eingelullt vom rhythmischen Ticken der Uhr, kann man ganz im Ritual verlorengehen. Draußen könnte die Welt untergehen – hier drin findet man trotzdem Ruhe. Kann sich ganz auf den kleinen Kampf mit den eigenen Ansprüchen und Vorstellungen einlassen. Ein Foto täuscht immer, je nach Inhalt unterschiedlich stark, eine objektive Darstellung der Wirklichkeit vor. Während ich vier Abzüge des selben Bildes mache, wird mir klar, was für ein Irrtum das wirklich ist. Je nachdem, welche Einstellungen ich wähle, erscheint jedes Mal eine andere objektive Wirklichkeit auf der glatten Oberfläche des Fotopapiers: Meine Wirklichkeit, konstruiert nach meinen Vorstellungen.



Hätte ich den Film wie bisher einfach beim Drogeriemarkt in einen Schlitz fallen lassen, wäre der erste Abzug vermutlich der einzige geblieben und ich hätte das Bild beim Auspacken eben für zu dunkel gehalten. Stattdessen lerne ich, mit einem vorgehaltenen Stück Karton während der Belichtung kontrolliert Dunkelheit aus dem Bild zu nehmen, bis die untere Hälfte ihren Inhalt preisgibt. Tatsächlich ist das Entwickeln eines Fotos ein Spiel irgendwo zwischen Zufall und Kontrolle. Es selbst zu machen, gibt jedenfalls jedem einzelnen Bedeutung. Ich weiß, dass ich im Dunkeln gestanden bin und Zeit mit einem Foto verbracht habe, um es aus seiner Unsichtbarkeit herauszuholen, es an die Oberfläche der Wirklichkeit zu heften. Mit Chemie und Papier daran zu arbeiten, macht den Prozess auf der einen Seite greifbarer und auf der anderen nur noch mysteriöser. Ein zauberhafter Moment, wenn in der mit Entwicklungsflüssigkeit gefüllten Schale aus Nichts plötzlich Bild wird, aus Weiß Schemen, Formen, Schatten, Licht.
| Delia Salzmann