„Please make sure to touch all the time and stay connected” – mit KARIN FERRARI und FRANCESCO FONASSI ins HoN 

Am gestrigen Abend startete das Heart of Noise Festival im Reich für die Insel, das Karin Ferrari und Francesco Fonassi mit ihrem transdiziplinären Projekt FREAKY FAIRY FLUX FOUNDATION zeremoniell eröffneten. Wir haben uns mit den beiden darüber unterhalten, welche Theorien und Glaubenssätze hinter ihrer experimentellen Kollaboration stecken. Wer die Performance noch nicht gesehen hat, hat heute um 19:30 Uhr (RFDI) nochmals die Möglichkeit.

Booklet zur FFFF-Performance mit der designten Schrift von Karin Ferrari

Auf der Eingangstüre des gläsernen Kubus Reich für die Insel sind dieser Tage vier mysteriöse Schriftzeichen, in vertikaler Anordnung platziert, zu sehen. So manche Besucher:innen haben sich bereits gewundert, was es mit diesen Symbolen auf sich hat. Die vier Zeichen stehen abgekürzt für den Namen des Projekts FREAKY FAIRY FLUX FOUNDATION (FFFF) – wofür Karin Ferrari eine eigene Schrift kreierte. 

Symbole sind bereits von Beginn an ein zentrales Thema ihrer künstlerischen Arbeit. Erste Aufmerksamkeit erlangte Ferrari durch ihre Dekodierungen von Popmusikvideos etwa von Ikonen wie Lady Gaga oder Katy Perry, die sie auf versteckte Botschaften und Verschwörungen analysierte. „Mich interessieren dabei vor allem neue Formen von Aberglauben und DIY-Spiritualität“, so die Künstlerin. In diese Richtung geht auch ihr aktuelles Projekt FFFF: Es vereint das Trashig-Abgefahrene, das in unserer Alltagskultur steckt, mit Naturkräften wie sie in Mythologien eine Rolle spielen. „Ich versuche, herauszufinden, wie sich Technologie mit belebter Natur verhält und welche Codes sich dadurch für unsere Gegenwart ableiten lassen“, erklärt Ferrari, die sich im Rahmen ihrer Arbeit auch intensiv mit zeitgenössischen Theoretiker:innen wie Bruno Latour, Donna Harraway und Erik Davis beschäftigt. Insbesondere letzterer trug mit seinem Werk „TechGnosis. Myth, Magic and Mysticism in the Age of Information“ erheblich zu ihrem Weltverständnis bei, indem er etwa die These vertritt, dass selbstverständlich anmutende Gegensätze wie sakral/profan, Natur/Kultur, Spiritualität/Technologie etc. nur in unseren kulturell geformten Vorstellungen getrennte Dimensionen bilden.

„Solche Anschauungen halten sich, weil sie auch Vorteile mit sich bringen und sich mit einem solches Verständnis die Natur halt auch leichter ausbeuten lässt. Ein Baum ist schneller gefällt, wenn man ihn nur als Baum betrachtet und nicht als belebtes Ding, das unsere Ahnen repräsentiert“,

so Ferrari, die Davids Anschauung teilt, dass sich diese Konzepte – vor allem auch in unseren Alltagspraktiken und -Gegenständen – nicht so einfach voneinander unterscheiden lassen. „Aus irgendeinem Grund wollen wir nicht die phantastischen, mystischen und spirituellen Kräfte hinter Phänomenen wie Smartphones, Elektrizität oder Kapitalismus erkennen. Sie wirken aber auch in diesen Kategorien“. Als Beispiel nennt Ferrari die Sprache selbst, vor allem im Englischen entdeckt sie Bezüge in gewöhnlichen Begriffen wie „savings“ (im Sinne von „Ersparnissen“ oder einer „Rettung“), ebenso „credit card“, worin der lateinische Begriff „credere“ für glauben steckt. „Viele Aspekte von Finanz und Wirtschaft sind geprägt von religiösen Vorstellungen“, führt Ferrari aus, die all diese Gedanken auch in ihrer Kunst aufnimmt. Erik Davis schreibt selbst in einem Text über ihr künstlerisches Schaffen:


Karin Ferrari ist eine Künstlerin des trash stratums und deren heiligen und unterschwelligen Ikonographie. Durch die Arbeit mit einer Vielzahl von Materialien, einschließlich digitaler Medien, Assemblage und traditionellem analogen Handwerk, hat die Künstlerin ein irritierendes, lustiges und verstörendes Werk geschaffen, das gleichzeitig aktiv nachforscht und sich passiv der zeitgenössischen esoterische Strömungen unterwirft : okkulter Symbolismus, Technopop-Paranoia, gnostische Verschwörungstheorie.

– Erik Davis (im Rahmen von KOER TIROL 2022)
FFFF-Ausstellungsansicht im RFDI

„Trash Mysticism“ nennt Ferrari ihre künstlerische Arbeit, die bereits 2019 unter gleichnamigen Titel als Ausstellung im Ferdinandeum zu sehen war. Von dieser Ausstellung blieben noch die mit samtigen Leoparden-Muster überzogenen Hockerbänke, die nun im oberen Stockwerk des Kubus platziert sind – ästhetische Alltagsobjekte, die Ferrari damals extra für die Ausstellung anfertigen ließ. In FFFF umrahmen die Bänke ein auf dem Boden aufgeklebtes Organigramm, das von einem Kronleuchter, gebastelt aus Ästen und Kristallglas, beleuchtet wird. Daneben leuchten eine Unmenge neonfarbiger Plastikschüsseln, in einem Farbverlauf von grün bis violett, ornamentartig aufgetürmt. Diese Gefäße stammen nicht etwa von IKEA, sondern wurden direkt aus Yogarkarta importiert, wo Karin Ferrari vor ein paar Jahren für einen Residency-Aufenthalt lebte. „Ich hatte eine richtige Obsession mit diesen Schüsseln“, gesteht die Künstlerin, die von diesen Alltagsobjekten in den Straßenständen der indonesischen Stadt regelrecht magisch angezogen war. „So gestapelt auf den Verkaufstischen haben sie Ähnlichkeiten mit der fraktalen Architektur der Tempel dort“, so Ferrari, die darum bemüht ist, mit diesen Plastikgegenständen eine Ästhetik zu erzeugen, die zugleich trashig wie sakral anmutet. „Das ist nicht einfach, weil das schnell ins Kitschige kippen kann“. Die Schüsseln hat Ferrari bereits 2019 in einer Ausstellung im Diözesanmuseum Bruneck ausgestellt, damals in Form einer Skulptur zusammen mit mittelalterlichen goldenen Messkelchen – „das hat ganz gut funktioniert“, wie sie resümiert. 

FFFF ist eine Weiterentwicklung des Projekts „Temple of Ga Ga“, das Ferrari 2022 im Rahmen der Ausschreibung Vorbrenner im BRUX – Freies Theater Innsbruck umsetzte. Dieses war auch ausschlaggebend dafür, dass die Künstlerin von den Organisatoren des Heart of Noise eingeladen wurde, das Festival zu eröffnen. „Für mich als Künstlerin ist das ein großer Push, der mir weitere Perspektiven und Möglichkeit eröffnet“, zeigt sich Ferrari dankbar, die vor allem die Großzügigkeit hervorhebt, die Freiheit zu erhalten mit einem genreübergreifenden Format zu experimentieren. Dabei ist auch der zentrale Standort des Kubus – direkt zwischen dem Hofgarten, dem Landestheater sowie dem Haus der Musik von Bedeutung, wo Subkultur auf Hochkultur, Tourismus und städtisches Alltagsleben trifft. Mit Ferrari eröffnete das Festival dieses Jahr in einem wahrhaftig zeremoniellen Setting. Der Kubus wurde zum „monolithischen Tempel“ erklärt, von dem herab Karin Ferrari aus dem Fenster Botschaften der FFFF predigte, während ihr Kollaborator Francesco Fonassi das ganze Spektakel mit Soundkulissen untermalte:

Freaky Fairy Flux – The Self Help Group

Astral Travel for Beginners

Welcome to this crash course

In intergalactic communication.

[…]

This is completely ideology free. This is safe.

This is gentle. It’s simply an instruction on tools.

(Auszug aus der Spoken-Word-Performance)

Vereinzelte Personen im Publikum wurden eingeladen, Masken zu tragen, die Ferrari selbst aus Papiermaschee gebastelt hatte – sie verkörpern „Phantasiewesen“, wie sie sie nennt, manche darunter ähneln Tierköpfen wie Schlangen, Stieren oder Vögeln, andere wiederum eher Astronauten. Was sie aber gemeinsam haben, ist ein aufgekritzeltes Symbol auf der Stirnmitte – „das ist ihr drittes Auge“, merkt die Künstlerin an. Die Masken haben für Ferrari selbst auch eine praktische Funktion: „Das macht schon was mit einem, wenn man so eine Maske aufhat“, so fühlt sich sie sich während ihrer Live-Performance darunter gut aufgehoben: „Für mich hat es vor allem etwas Beruhigendes“. 

Karin Ferrari bei der FFFF-Performance

Im Rahmen des Festivals wurde das experimentelle Soundprojekt von Ferrari und Fonassi als 11. Heart of Noise-Edition veröffentlicht – dieses Jahr erstmals im Kassetten-Format, was insbesondere Fonassi gelegen kam, der ein Verfechter des analogen Sounds ist: „I hate computers to play with, that’s why I jumped some years ago totally into reel-to-reel-tape machines and analogue synthesizers”, wie er erzählt. Dabei spielt für ihn vor allem auch die analoge Soundqualität eine Rolle, die sich sehr stark von digital produzierter Musik unterscheide. Somit knüpft auch seine Arbeitsweise an die konzeptuelle Arbeit Ferraris an: „I think our matching point lies especially in ideas of past and future fictional theories“, so Fonassi. 

Produziert wurde die Kassetten-Auflage im Underground-Space/Studio SPETTRO unter dem Label Villa Recordings in Brescia – beides Projekte, die der italienische Soundkünstler Fonassi vor ein paar Jahren mit seinem Kollektiv gründete. Auch das ästhetisch ansprechende Verpackungs-Design der Kassette (by another studio), das in Kombination mit Ferraris entworfener okkulter Schriftart an die Optik von Orakelkarten-Verpackungen erinnert, erweckt Neugier und verleitet zum Kauf – auch damit sei eine Brücke zum boomenden Esoterikmarkt geschlagen. Ob die Kassette ihre Wirkung erzielt, muss wohl jede:r für sich selbst herausfinden. Wir sind nach diesem vielversprechenden Einsteig jedenfalls gespannt, wie weit das diesjährige Heart of Noise unser drittes Auge zu öffnen vermag.

Die Sound-Performance wird heute (FR, 26.5.23) um 19.30 nochmals live im RFDI vorgeführt. Die Installation FREAKY FAIRY FLUX FOUNDATION ist von FR 26.5.–SO 28.5. von 14-19 Uhr im Kubus zugänglich.  

| Brigitte Egger

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