An den vergangenen Tagen standen durch die Premierentage – Wege zur Kunst zu viele Veranstaltungen am Programm, als dass eine einzige Person sie überhaupt alle besuchen konnte. Ein schönes Problem, vor dem man als kunstinteressierte Person in Innsbruck ja sonst eher selten steht. Somit galt es, eine – möglichst vielseitige – Auswahl zu treffen.
Eigentlich bin ich keine große Freundin von Führungen, meist finde ich es interessanter, sich eine Ausstellung, zumindest anfangs, ohne jede Vorinformation anzusehen und abzuwarten, was einem selbst dazu einfällt. Da mir die Premierentage-Afterparty im ehemaligen Bauhaus am Freitag zuvor aber vielleicht eine Spur zu gut gefallen hatte und ich mich deshalb nicht in optimaler körperlicher und geistiger Verfassung befand, um mir selbst Gedanken zu machen, entschied ich mich trotz meiner Vorurteile für eine der Expert*innenführungen und besuchte unter der Leitung von mumok-Kuratorin Manuela Ammer drei Ausstellungen – und wurde positiv überrascht. Die „Expertin“ (ein Ausdruck, den sie selber mit einem Augenzwinkern benutzte) gab kein monotones Fact-Dumping zum Besten, vielmehr teilte sie subjektive Eindrücke und Interpretationsansätze, die sie mit ihrem kunstwissenschaftlichen Vorwissen verknüpfte. Eine Führung, die also eher dazu einlud, später noch einmal zurückzukommen und weiterzudenken, statt das Gefühl zu hinterlassen, man wisse jetzt alles, was es zu wissen gibt, und habe die betreffenden Ausstellungen sozusagen „abgehakt“.

Foto: Delia Salzmann
Der Weg durch die Stadt gestaltete sich abwechslungsreich. In der Galerie Elisabeth & Klaus Thoman sind momentan gleich vier verschiedene Künstler*innen zu sehen, welche alle im Medium Malerei ausstellen. Ricarda Denzer nutzte im Rahmen ihrer Ausstellung in der Neuen Galerie auch Methoden wie Bildhauerei und Silikonguss. Die Künstlerin setzte sich dem Thema Identität und ihrer Überdeckung auseinander, sowie mit dem künstlerischen Prozess als einer Form von archäologischer Tätigkeit. Ein Besucher beschrieb die Ausstellung als mit einer Art „Labor-Gefühl“ behaftet – was aber auch bedeutete, dass die Bilder, Videoscreens und sternförmigen Masken teilweise etwas unglücklich positioniert waren. Der Platzmangel in der kleinen Galerie und die Vielzahl der Objekte gaben der Ausstellung etwas Unstrukturiertes. Hier drei weiße Wände, dort liegt etwas wie verlorengegangen am Boden, im Hintergrund das monotone Rauschen eines Diaprojektors, welches die Konzentration zusätzlich beeinträchtigt. Unter anderen räumlichen Umständen hätte diese komplexe Ausstellung sicher noch mehr glänzen können.
Stefanie Seibold, deren Einzelausstellung momentan im Kunstpavillon zu sehen ist, zeigt dort ihre aus Papier und ähnlichen Materialien konstruierten „Centerfolds“, welche nest- oder vielleicht lampenartig in den Ecken der Galerie sitzen und mit grellen Neonfarben Aufmerksamkeit einfordern. Gleichzeitig beschäftigte sie sich auch mit der Frage der Sichtbarmachung von vergessenen Frauen in der Architektur. Mit den von der Designerin Lilly Reich konzipierten Stahlobjekten, die den Raum symbolisch durchtrennen, möchte die Künstlerin auf den fundamentalen Einfluss aufmerksam machen, welchen Lilly Reich auf die Arbeiten des berühmten Architekten Ludwig Mies van der Rohe während ihrer gemeinsamen Schaffensperiode hatte.
Auch eine der „echten“ Premieren des Wochenendes, die Ausstellung von Peter Kogler in der Galerie Johann Widauer, ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Der gebürtige Innsbrucker, den die meisten wahrscheinlich vom Fensterdesign des Rathauses kennen, verwandelte die gesamte Ausstellungfläche inklusive Boden und Decke in ein nahtloses Netz aus roten Linien, nur durchbrochen von zwei buntschillernden Bildern an einander gegenüberliegenden Wänden. Hat man schnell gesehen, hinterlässt aber einen nachhaltigen Eindruck. Eine futuristische Weltraumlandschaft oder das Innere eines digitalen Denkapparates – der Raum erzeugt einen konfusen Mix aus Impressionen die sich nicht richtig einordnen lassen. Während man in anderen Galerien Installationen oder Bilder besichtigt, von denen man sich auch wegdrehen könnte wenn man sich unwohl fühlen sollte, findet man sich hier plötzlich ganz im Netz Peter Koglers eingefangen und kann der Intensität nur gerade so durch die Eingangstür wieder entkommen. Besonders schön, dass er offensichtlich nicht an einem beliebigen Ort ausstellt sondern mit genau diesem Raum und seinen Gegebenheiten – so etwa den auffälligen roten Fenstern der Galerie – spielt.

Foto: Delia Salzmann
Den letzten Programmpunkt der Premierentage 2018 bildete eine Diskussionsrunde zum Thema Orte? Initiative? im Kunstraum Innsbruck, in der sich verschiedene Angehörige des Kunst- und Kulturbetriebs über eine mögliche Aufwertung zeitgenössischer Kunst in Tirol austauschten. Gleichzeitig wurde auf die vergangenen zwei Jahrzehnte zurückgeblickt. Die frühere PT-Organisatorin Verena Konrad erklärte den Gedanken hinter der Namensgebung: „Premiere“ sei nicht im Sinne von „Vernissage“ zu denken. Vielmehr geht es um eine Art institutionsinterner Premiere, das bedeutet, dass die Galerien Projekte ausstellen, die es bei ihnen bisher so noch nicht gegeben hat. Nicht nur ein Versuch, dem Publikum etwas Neues zu zeigen also, auch innerhalb der bestehenden Ausstellungsorte soll für frischen Wind gesorgt werden. Ein Hauptanliegen der Premierentage war es von Anfang an, Lebendigkeit in den Tiroler Kunstbetrieb zu bringen.
Die anschließende Diskussion kreiste vor allem um Hürden, vor denen Innsbrucker Künstler*innen in ihrem Schaffen vor Ort stehen. So wurde angesichts der nahezu unleistbaren Mietpreise für Ateliers eine mögliche Leerstandsnutzung besprochen, was andernorts für Künstler ja Gang und Gäbe ist. Kulturstadträtin Uschi Schwarzl wies jedoch darauf hin, dass es in Innsbruck wesentlich weniger brachliegende Industriefläche gibt, die dafür genutzt werden könnte, als in Städten wie etwa Wien oder Linz. Zu erwähnen ist zumindest die momentane Zwischennutzung des ehemaligen Kiosks in der Mariahilfstraße. Während der Premierentage beherbergte dieser mit dem Vorbrenner-Projekt „Pop-Intratausch“ bereits das zweite künstlerische Projekt.
An der Diskussion war auch das Publikum rege beteiligt. Besonders wurde das mangelnde Interesse der Politik am Kunstgeschehen in Innsbruck (wenn es sich nicht gerade um das drohende „Maximilianjahr“ handelt) kritisiert. Die fehlende Sichtbarkeit führt zu Desinteresse in der Bevölkerung; die meisten nehmen an, Künstler*innen würden schon „irgendwie“ bezahlt werden, ihre Probleme und Anliegen werden selten öffentlich thematisiert. Dabei leisten sie, da der Wettbewerb groß ist, oft für wenig oder gar keine Bezahlung, zeitaufwändige und materialintensive Arbeit. Denn wenn eine*r einen Auftrag ablehnt, macht ihn eben jemand anderer. Oft bekommen Künstler*innen für ihre Projekte nicht mehr als Dankbarkeit und eine Zeile im Lebenslauf. Das kann auch einen lähmenden Effekt auf jene Arbeiten, die im Zuge von Förderprojekten entstehen, haben: man kann davon ausgehen, dass Inhalte an manchen Stellen bewusst zurückgeschraubt werden, um bei Sponsoren oder Förderstellen nicht anzuecken. Auch bei den Premierentagen fehlen trotz Erfolg an vielen Stellen nötige finanzielle Mittel. An diesem Punkt in der Diskussion wurde deutlich, wie schambehaftet das Zusammendenken von Kunst und Geld noch immer in vielen Köpfen ist. Eine Künstlerin im Publikum machte ihrer Frustration darüber Luft: „Wir dürfen auch Geld haben. Geld zu verdienen ist auch für uns okay!“, und erntete lautstarken Beifall.
Nun ist die Situation für Kunstschaffende natürlich nicht nur in Innsbruck schwierig. Durch das Fehlen einer Kunstuniversität oder Vergleichbarem wird diesen Problemen hier aber noch weniger öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt als andernorts. Deshalb neigen hiesige Künstler*innen dazu, in Städte mit einer breiteren Kunstszene abzuwandern und nach Innsbruck nur projektweise zurückzukommen. Umso wichtiger sind deshalb Formate wie eben die Premierentage. Sie stellen ein Mittel dar, um Austausch zu fördern und auf Anliegen der Kunstszene aufmerksam zu machen. Gespräche also, die im restlichen Jahr viel zu wenig geführt werden.
Und das ist auch noch etwas, das ich an meiner persönlichen Premierentage-Erfahrung hervorheben möchte: die Begrenztheit des Publikums mag auf viele Arten ein Hindernis sein, gleichzeitig führt sie aber auch zu einer Art Gemeinschaftsgefühl. Nicht nur Kunstschaffende, auch Mitarbeiter*innen und Besucher*innen sind während der Premierentage auffällig offen und kontaktfreudig. Wer sich im Kontext der vorwiegend sportaffinen Allgemeinbevölkerung manchmal etwas verloren fühlt, hat hier die Chance, nicht nur künstlerische Eindrücke zu sammeln, sondern auch eine Menge interessanter Gespräche zu führen. Wahrscheinlich ist auch das die Lebendigkeit, auf die immer wieder als Ziel der Premierentage hingewiesen wird. Verena Konrad fasste ihr ehemaliges Projekt mit folgenden Worten zusammen: „Während der Premierentage ist die Stadt voller Geschenke, man muss sie nur abholen.“ Und das werden wir hoffentlich auch noch weitere 20 Jahre können, insofern die Schenkenden eben nicht immer nur Schenkende bleiben, sondern auch hin und wieder etwas zurückbekommen.
DS