Innsbruck, Montag, 9:00 Uhr, Literaturhaus am Inn: Die Croissants duften, der Mokka steht bereit, das Publikum sitzt entspannt. Das Montagsfrühstück bietet eine ganz wunderbare Atmosphäre zum Nachdenken, Ideen schmieden und Träume teilen. Am 10. Dezember stand ein Thema im Vordergrund, das einiges an Diskussionsstoff bereithielt und die Geister schied: „Universität – von Bildung zu Kompetenz?!“ Als Gäste waren die beiden Universitätsdozent*innen Hanno Millesi (Institut für Sprachkunst, Wien) und Nadja Köffler (Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung, Innsbruck) eingeladen. Eine spannende Veranstaltung, die nicht ganz ohne Polemik und angedeuteten Zynismus auskommen konnte – wie jetzt auch dieser Beitrag darüber, der die Diskussionsinhalte zusammenzutragen versucht und einige weiterführende Gedanken formuliert.
Es ist ein Thema, dessen öffentliche Diskussion mindestens so alt ist wie es selbst – und gerade jetzt angesichts neuer Regierungspläne zu seiner Effizienzsteigerung und Kontrollverstärkung aktueller ist denn je. Es ist eine Diskussion, die sich den großen Fragen der Gegenwart stellt, sie in Gegensatzpaaren formuliert und diese zu vereinen versucht: Bildung oder Kompetenz, Ökonomisierung oder Internationalisierung, elitär oder egalitär. Das wird gleich zu Beginn klar, als Moderator Martin Sexl ein Interview mit dem Rektor der Universität für Angewandte Kunst in Wien, Gerald Bast, als Ausgangspunkt für seine Überlegungen schildert. Dieser fordert einen Paradigmenwechsel in der Bildung, die keine Spezialisten, sondern Generalisten hervorbringen soll. Es soll keine marktkonforme Ausbildung auf der Einbahnstraße geboten werden, sondern einem holistischen Ansatz gefolgt werden, in dem kritisches Denken und kreatives Handeln im Vordergrund stehen.
Elfenbeinturm oder Arbeitsmarktkonformität
Dieser Meinung sind auch die beiden Gastredner*innen. Hanno Millesi sieht nicht zuletzt in der Selbstfindung ein wesentliches Merkmal der Universitätsausbildung. Vor allem bei lernintensiven Studien, die mit einem späteren Berufsprestige einhergehen, bleibe die Persönlichkeitsentwicklung aber auf der Strecke. Für ihn stützt sich die Universitätsausbildung auf zwei Pfeiler, „einerseits die Weitergabe von Kenntnis, von sanktioniertem Wissen, andererseits aber auch die Schaffung einer Situation des Austausches. Das ist es, was die gesellschaftliche Relevanz der Uni-Lehre rechtfertigt.“ Nadja Köffler hat ihre Gedanken zu dem Thema in einer Streitschrift zusammengefasst, die sich rund um die bürokratisierte und neoliberalisierte, die verlorengegangene und ausgebeutete Zeit von und für Student*innen und Wissenschaftler*innen dreht. Sie spricht von Turbo-Absolvent*innen, befristeten Lehraufträgen, Masse statt Klasse, der Countdown läuft, die Uhren ticken. Im gegenwärtigen System mache „der kreative Geist dem angepassten Streber Platz“, es produziere „funktionalisierte Menschen ohne Geschichte und ohne Meinung“. Die beiden sind sich einig: Die Uni soll kritisches Denken fördern, Reflexionsfähigkeit ausbilden. Die Menschen, die aus ihren Toren in die Welt wandern, sollen mündig sein, sozial handeln können, solidaritätsfähig sein, verschiedenste Inhalte miteinander verknüpfen können, Fragen stellen.
Humanistische Bildung oder Kompetenzorientierung
Auch das Publikum teilt die aufgeladene und teils polemische Stimmung der Vorredner*innen. Es werden hitzige Sprüche und wilde Metaphern miteinander gemischt. Die Frage, die sie sich vor allem stellt: Wo bleibt das humanistische Bildungsideal? Ist es noch gültig, muss es reformiert werden, oder ist es obsolet? Ist in der Bildung Konservatismus angebracht oder reaktionär? Die Zuschauer*innen fragen auch nach denjenigen, die nicht nur von der Universitäts-, sondern auch der Schulbildung im Stich gelassen werden. Der laute Ruf der 68-er nach Bildung für alle habe sich gewandelt in nunmehr überfüllte Unis, die immer noch elitär sind. Müssen wir Bildung neu definieren? Welche Inhalte sollen vermittelt werden, welche Student*innen sollen dabei herauskommen?
Ernüchterndes Ende oder inspirierender Anfang
Die Fragen, die im Raum stehen, bleiben offen. Jemand aus dem Publikum fragt die beiden Gäste: Wenn die gegenwärtigen Anstellungsverhältnisse an der Uni so prekär sind, warum tut man sich das an, tut man nichts dagegen? Eine Frage, die niemand so recht beantworten kann. Wie denn auch? Gerade diese Diskussion hat gezeigt, wie sehr alles miteinander in Verbindung steht und sich auf die großen Strömungen der heutigen Zeit zurückführen lässt, die unter den Namen Globalisierung, Ökonomisierung, Individualisierung bekannt sind. Dabei ist der größte Zusammenhang die tiefschürfendste Diskrepanz: Dass Bildung – oder besser: die damit hervorgebrachte Kompetenz – nicht quantifizierbar ist. In ihrer Institutionalisierung ist eine solche Transformation aber unvermeidlich. Und gerade gegenwärtige und kürzlich zurückliegende Reformen und Veränderungen zeigen, wie sehr die Bildungsideale immer mehr den Zahlen unterworfen und in eine neoliberale Logik eingegliedert werden: ECTS-Punkte, Aufnahmeprüfungen[1], internationale Vergleichbarkeit verwandelt sich in internationale Konkurrenz. Es zählt der Titel, nicht der Inhalt.
Am Ende könnte ein Zyniker behaupten, dass das, was in diesem gemütlichen, nach Kaffee duftenden, sprichwörtlichen Elfenbeinturm im 10. Stock gesagt und getan wird, ja wieder das gleiche ist, was unbedarfte Kritiker*innen der Ausbildung an der Uni vorwerfen. Eine Versammlung von wenigen, die über ein Thema philosophieren, ohne Lösung, ohne unmittelbare Tragweite. Aber dann wiederum handelt es dabei um das, was allesamt gefordert haben: Ein Austausch, ein gemeinschaftliches Nachdenken, Thesen und Antithesen, eine interdisziplinäre Debatte. Das, was es jetzt gerade an der Uni fehlt, wie Nadja Köffler in einer Anekdote festmacht: Die Sternstunden sind, wenn man sich – zum Beispiel – in einem Museum mit den Student*innen in einer Diskussion über Seminarinhalte verliert; die Zeit scheint stillzustehen, bis ein Mitarbeiter die bevorstehende Schließung verkündet; dann wird ein außertourliches Treffen ausgemacht, Zeit eingeräumt. Ich habe jedenfalls etwas davon mitgenommen: die Fragen und Ideen der Diskussion haben sich im Kopf eingenistet, werden sich ab und an regen und wachsen. Es ist keine ernüchternde Erkenntnis, sondern ein hoffnungsfroher Anfang: Jede Veränderung beginnt mit einer Idee. Und keine Idee kommt ohne Begeisterung und Pathos aus.
[1] Noch heute gilt hierbei, was Pierre Bourdieu vor über 35 Jahren formuliert hat: „Nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip wird zwischen dem letzten erfolgreichen und dem ersten durchgefallenen Prüfling ein wesensmäßiger Unterschied institutionalisiert, der die offiziell anerkannte und garantierte Kompetenz vom einfachen Kulturkapital scheidet, das unter ständigem Beweiszwang steht“ (Pierre Bourdieu: „Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital“, in: ders., Die verborgenen Mechanismen der Macht. Schriften zur Politik & Kultur 1, hg. v. Margareta Steinrücke, Hamburg: VSA 2005, S. 62) Grundsätzlich beschäftigt sich Bourdieu hier mit ungleichen Verhältnissen im Erwerb von Kulturkapital (= Fähigkeiten, die man aus Primärsozialisation und Ausbildung erlernt, darunter auch Wissen und Geschmack, die erst in institutionalisierter Form, als Titel, „verwertbar“ sind). Er folgt in seiner Argumentation jener These, wonach alle Arten von Kapital auf das ökonomische zurückzuführen sind, das somit als Grundlage der Ungleichheit dient, was gleichzeitig in den anderen Kapitalformen verschleiert wird.
JZ