Im zweiten Essay unserer Reihe *Staying with the Trouble beschäftigt sich die Philosophiestudentin Leona-Cosima Piffer mit Fragen um das gesellschaftsgestaltende Potenzial der Kunst.

Kann Kunst?
Übersäuerung der Korallenriffe und deren Artensterben, Verbrennung der Regenwälder und ihrer Lebewesen für Palmöl, Verdrängung indigener Menschen und Beraubung ihrer Heimat, Ausrottung und Rückkehr der Biber in Österreich, Klimaabkommen, die nicht abgeschlossen oder eingehalten werden, warnende Wissenschaftler*innen und Klimaaktivist*innen, Informationsflut und Tipps für Nachhaltigkeit, Greenwashing und vermeintlich öko-biologische Produktion, leere Versprechen und sterbende Welten.
Mittendrin: Kunst. Als Aktivismus?
Kunst rüttelt auf, Kunst macht wachsam, Kunst schafft Bewusstsein, Kunst verändert Bewusstsein, Kunst verdrängt, Kunst arbeitet auf, Kunst verbindet und Kunst verärgert – aber kann Kunst auch einen Beitrag zur Veränderung unseres Verhaltens, unseres Handelns und unserer Responsabilität in Bezug auf unsere Umwelt, auf unsere Mitmenschen, vor allem aber auf unsere nicht-menschlichen Mitwesen, auf Pflanzen, Tiere, Mikroben, Zooxanthellen und all das, was wir nicht sind, leisten?
- Kann Kunst Aktivismus sein, der individuelles Handeln und Bewusstsein nachhaltig verformt?
- Kann Kunst auf Probleme in unserer Welt, wie zum Beispiel Artensterben, antworten?
- Kann Kunst Lösungen zur Veränderung im Umgang mit aktuellen Umweltkrisen wirkungsvoll bieten?
Dies sind die Fragen, denen ich mich in meinem Essay anhand drei spezifischer Beispiele zu widmen versuche. Im vorliegenden Auszug werde ich mich auf ein Beispiel beziehen. Dabei werde ich ein explizites Kunstprojekt vorstellen und anschließend meine eigenen Gedanken im Kontext der hier gestellten Fragen zur Diskussion stellen.
Silky sifaka und Aquarellzeichnungen : Das Ako-Projekt
Kunst bildet, Kunst schafft Bildung, Kunst vermittelt Wissen, Kunst hinterfragt Wissen, Kunst wirft Fragen auf, Kunst findet Antworten.
Dieser Text ist genau so Bildung, wie Menschen in Madagaskar Wissen über Lemuren erfahren können.
Das Ako-Projekt ermöglichte durch künstlerisch-spielerische Wissensvermittlung eine Sensibilisierung des Bewusstseins für die Primatenart der Lemuren, die in Madagaskar beheimatet ist. Initiiert durch die amerikanische Wissenschaftlerin Alison Jolly, die die Umgebung der Lemuren, ihr Verhalten und ihre Geschichte, ihre Hindernisse und ihre Chancen studierte, wurde das Projekt in die Welt gerufen. Zentral in der Diskussion über Lemuren und ihre Umgebung ist das Mensch-Wald-Tier Verhältnis. Waldbrände, die bewusst von Menschen ausgelöst werden, um die Fruchtbarkeit der Böden zu erhalten und eine Erneuerung der Biodiversität hervorzubringen, wurden zum Verhängnis, da die Zeit, im Gegensatz zu Früher, zur Regeneration der Flora und Fauna fehlt. Zudem sind Waldbrände für alle Spezies eine verheerende Bedrohung, die bis zur Ausrottung führen kann. Neun von zehn Arten aller Lebewesen, die dort beheimatet sind, existieren nur in Madagaskar, dazu zählen auch die verschiedenen Gattungen der Lemuren. Das Ako-Projekt besteht nun aus einer Reihe von bunt illustrierten Büchern, mit Aquarellzeichnungen der Künstlerin Deborah Ross, die die Abenteuer verschiedenster Lemuren beschreiben. Diese Bücher erreichen Schulen, Kinder und Erwachsene in Madagaskar. Die bunten Illustrationen ermöglichen laut Haraway ein Eintauchen in die Welt des wilden Waldes, in die Welt der Lemuren. Die Auswirkungen des Projekts sind von großer Bedeutung; im Rahmen des Environmental Education Field Trip finden Ausflüge mit madagassischen Schüler*innen in den Regenwald statt. Die Jugendlichen berichten beeindruckt von ihren Erlebnissen. Zum ersten mal sehen, erleben und spüren sie eine Vielfalt an Pflanzen und Tieren, darunter auch die Lemurenart silky sifaka, die vom Aussterben bedroht ist. Anschließend wurden die jungen Erwachsenen aufgefordert, ihre Erlebnisse und Gedanken zu beschreiben: Jede*r appellierte für einen sensibleren, bewussteren, verantwortungsvolleren Umgang mit den Lemuren, den Pflanzen und dem Wald. Viele sprachen sich gegen die traditionellen Waldbrände aus und appellierten für den Schutz der Lemuren. Des weiteren waren sie sich ihres Privilegs, den Tieren im Wald zu begegnen, ihre Verhaltensweisen, Vorlieben und Abneigungen zu studieren, bewusst, und setzten sich dafür ein, ihr Wissen in Zukunft an Bauern und Menschen ihrer Umgebung weiterzugeben[1].
Bildung in Form von Kunst für alle, auch für diejenigen, die nicht Lesen oder Schreiben können, hat großes Potenzial und erreicht viele Menschen. Kunst kann als außergewöhnliches Medium dienen: Bilder vermitteln das, was Wörter nicht können: Bildungsübergreifendes Wissen. Wissen, das nicht auf Alphabetisierung reduziert wird, Wissen, das nicht nur zu privilegierten Schichten gelangt. Kunst als Wissen, das diejenigen Menschen erreicht, die es brauchen: die lokalen Bewohner*innen Madagaskars, die Teil eines einzigartigen Ökosystems sind, die dieses verformen und mitgestalten, aber gleichzeitig auch von dessen Auswirkungen betroffen sind und Verantwortung gegenüber nicht-menschlichen Lebensformen lernen müssen.
Ein weiteres Stück Hoffnung für die Erholung der Wälder, der Artenvielfalt und Einzigartigkeit dieses Planeten und ein weiteres Zeichen, dass Kunst, wie auch Haraway plausibilisiert, Welten verbinden und verändern kann.
Weitere zwei Kunstprojekte, die vorgestellt werden, The Crochet Coral Reef Project und Cohabitation, finden Sie in der Vollversion meines Essay im PDF-Anhang. Das Crochet Coral Reef Project verbindet mathematische Wissenschaft mit Kunst, verbindet Frauen weltweit, verbindet Korallen mit Menschen und Faszination mit Bewusstsein. Die lokale (Innsbruck) und internationale (Berlin) Ausstellung Cohabitation liefert unterschiedliche Ansätze, Ideen und Lösungen, um das Zusammenleben von Menschen und nicht-menschlichen Wesen zu ermöglichen und mit architektonischen Mitteln zu unterstützen.
Kunst kann!
Die genannten Beispiele stellen ein sichtbares Zeichen dar, dass Kunst, das Bewusstsein, das durch sie geweckt wird und zugleich ihre Voraussetzung ist, die Macht und auch die Verantwortung innehat, auf globale Krisen zu antworten. Kunst lässt sich daher als Medium begreiflich machen, das nicht nur kollektive Bewusstseinsveränderung schafft, sondern Handeln auch erzwingt und Denkmuster umgestaltet. Kunst ist eine gesellschaftspolitische, treibende Kraft, die alternative Lösungsansätze und hoffnungsvolle Ideen für das Leben auf unserem Planeten im Heute und Morgen entwirft. Sie trägt das Potenzial in sich, eine Hoffnungsträgerin, eine Retterin und eine Aktivistin für unsere Umwelt und unser Zusammenleben darzustellen.
Eine Aktivistin für eine Zukunft, die zwar ungewiss, aber niemals leer an Ideen und Lösungen sein wird.
Kunst kann Aktivismus sein.
| Leona-Cosima Piffer
[1]Vgl. „Environmental Education Field Trip“, in: Ako Conservation Education Program, https://www.lemurreserve.org/ako-conservation-education-program/#1612461165558-d85d9f55-4120 [6.06.2021]
Die Originalversion des Essays (inkl. Literaturverzeichnis) kann hier heruntergeladen werden:
KURZBIOS
Leona-Cosima Piffer
studiert seit 2020 Philosophie an der Uni Innsbruck, ist selbst künstlerisch tätig und betreibt ihre eigene Website www.lcp-art.at, wo sie ihre Fotografien, Malereien etc. veröffentlicht. Sie liebt Reisen und Sprachen, findet vor allem dort Inspiration für Texte, Gedichte und künstlerische Ideen.
Waltraud Zechmeister
ist 1958 in Wien geboren, studiert Germanistik und Romanistik für das Lehramt. Von 1985 bis 2020 unterrichtet sie am BORG 1. Neben Familie und Beruf widmet sie sich immer mehr der Kunst, die Dichtung begleitet sie seit ihrer Pubertät, zur Malerei kommt sie durch Kunstkurse in Zakynthos und in Wien. Ab 2010 geht sie mit ihren literarischen und bildnerischen Werken an die Öffentlichkeit und publiziert in zahlreichen Literaturzeitschriften, Lesungen und Vernissagen (www.waltraud-zechmeister.at).