„Spomenik“, das ist das bosnisch-kroatisch-serbische Wort für „Monument“. Zahlreiche solcher, meist im brutalistischen Stil erbauten Monumente stehen auf dem Boden ex-jugoslawischer Länder, ein vermutlich noch größerer Teil davon wurde in den letzten Jahrzehnten, vor allem im Zuge der Jugoslawienkriege, gewaltsam zerstört oder beschädigt. Lange Zeit mehr oder weniger international unbeachtet sind die noch vorhandenen Bauwerke dieser Art mittlerweile – wohl auch aufgrund ihrer Social-Media-Affinität – für ein weltweites Publikum zu einem touristischen Angelpunkt geworden. Die unvergleichbare, imposante Ästhetik der Spomeniks macht ihrem Ansehen alle Ehre. So finden sie sich heute als beliebtes Hintergrundelement für diverse Fotoshootings oder als mysteriöse Kulisse für Parties und Festivals. Kritische Stimmen allerdings beteuern, dass dieser Trend den Entstehungskontext sowie die Bedeutung hinter diesen Monumenten untergräbt und sie auf unangemessene Art und Weise zweckentfremdet.

LAST AND FIRST MEN, Jóhann Jóhannsson (ISLAND, 2020, 70min) | Filmstill 1
Gegebener Anlass für diesen Beitrag ist der 2020 posthum erschienene Film LAST AND FIRST MEN des 2018 verstorbenen isländischen Komponisten und Filmemacher Jóhann Jóhannsson, der gestern den Abschluss des IFFI-Filmfestivals im Cinematograph markierte. Die passende Kooperation dieser Filmprojektion mit dem Heart of Noise-Festival gibt Anschein auf die filmisch-musikalische Symbiose, eine hypnotisierende Gesamtkunstwerks-Komposition.
Der experimentelle Film basiert auf den gleichnamigen Science-Fiction-Roman des englischen Schriftstellers Olaf Stapledon (1930) und spielt Milliarden Jahre in der Zukunft. Auf Schauspieler:innen und Dialoge wird verzichtet. Die Stimme Tilda Swintons kommt aus dem Hintergrund, erzählt die Gegebenheiten und richtet sich mit ihren Worten direkt an die Zuschauer:innen. Diese werden in Zeitlupentempo mittels Kamerazoom in die Betonbauten hineingezogen.
Am Ende des Films könnte man meinen, der isländische Regisseur hätte die als Bilder eingesetzten Spomeniks als Kulisse für seinen futuristischen Film bauen lassen, wie es in der Filmrezension im The Guardian angedeutet wird: „The visual images Jóhannsson finds to accompany this prose-poem are strange and disturbing sculptures that look like something built on Earth by aliens, a mix of Stonehenge and Angkor Wat. I wondered if Jóhannsson had had them designed and built”. Über den Entstehungshintergrund und die Geschichte der für die Filmästhetik angeeigneten Spomeniks fehlt jede Spur. Konzeptuell insofern nachvollziehbar, als die Science-Fiction-Story u. a. auch darauf hinausläuft, dass der Entstehungskontext dieser Bauwerke in ferner Zukunft nicht mehr von Bedeutung ist.
Dennoch: Obwohl die Spomeniks eine tragende Rolle im Film einnehmen, gewissermaßen gar als hauptdarstellende Elemente funktioneren, werden nicht einmal im Abspann die Namen und Standorte der gezeigten Monumente angeführt, geschweige denn die Namen der Künstler, die diese entworfen haben und somit auch einen unverzichtbaren Beitrag zu diesem Film leisteten.
„Spomeniks have become a successful brand”
Im Calvert Journal (ein nebenbei bemerkt sehr lesenswertes Online-Kulturmagazin), erschien 2016 ein kritischer und aufschlussreicher Beitrag des Journalisten Owen Hatherley unter dem auffordernden Titel Concrete clickbait: next time you share a spomenik photo, think about what it means. Darin kritisiert Hatherley, dass Spomeniks heutzutage häufig auf ihre abstrakte, alienhafte Konstruktion reduziert werden. Darüber hinaus werde oft die Falschinformation verbreitet, bei den „UFOs“ – wie sie zuweilen genannt werden – handle es sich um Bauwerke, die allesamt von Josip Broz Tito in Auftrag gegeben wurden. Dabei hatte der jugoslawische Staatspräsident oft gar nichts mit ihrer Entstehung zu tun. Denn die Spomeniks wurden zu einem großen Teil von regionalen Communities initiiert, teilweise auch selbstfinanziert.
Auch im Rahmen eines vor ein paar Monaten geführten komplex-Interviews mit den ehemaligen Künstlerhaus Büchsenhausen-Fellows Miloš Miletić und Mirjana Radovanović, die mit ihrer Organisation KURS Udruženje fundierte Recherchen zu Partisan:innenbewegungen durchführten, sind wir u. a. ebenso auf den Zustand dieser Spomeniks und ihrer gegenwärtigen Bedeutung zu sprechen gekommen, so ihre Ansicht:
„For us, this kind of representation of Yugoslav monuments is really problematic. Mostly, it’s western young people who are coming to see these monuments because they are widely presented as some kind of cool futuristic alien objects. Also, these places are now popular for organizing festivals. Thing is, most of the places on which these monuments were built are the places where thousands of people died in battles for liberation during WWII. Historically, they used to be commemoration grounds with educational purposes in order to remember horrifying and at the same time heroic events and parts of history. In our opinion, it’s very wrong to present those places out of the context in which they originated and to ignore the complex aesthetic, political, and ideological reasons for their building“.


Monument to the Uprising of the People of Kordun and Banija (Spomenik ustanku naroda Banije i Korduna), 1981, Petrova Gora, Kroatien | Bilder: Delia Salzmann
„This spomenik is dedicated to the deaths of ethnic-Serb peasants who died fighting against the Ustaše militia in the Petrova Gora mountains, most notably during 1941 and 1942.“
– Spomenik Database
Tatsächlich sind einige der noch vorhandenen Spomeniks heute in einem verkommenen Zustand. Die Aufrechterhaltung dieses antifaschistischen kulturellen Erbes steht nicht auf den Agenden der gegenwärtig führenden politischen Parteien in den derzeit stark national geprägten Ländern des ehemaligen Jugoslawiens. Oftmals fehlt bei den Monumenten die Vermittlung ihres Hintergrunds.
Bewusstsein über deren Bedeutung zu schaffen und die Entstehungsgeschichten hinter den einzelnen Bauwerken aufzuzeigen ist das Ziel der 2015 gegründeten Online-Plattform Spomenik Database.
„Within this ambitious website, my aim is to create the definitive destination on the internet to not only view photos of the anti-fascist monuments of the former-Yugoslavia, but I also aim for it to be a place to learn about their history, their meaning, their current condition and exactly how to find them”,
schreibt der us-amerikanische Historiker Donald Niebyl über sein Rechercheprojekt.

“This spomenik at Ostra stands as a memorial to the fallen soldiers and veterans from the Čačak Partisan Detachment who were all from nearby city of Čačak, Serbia”
– Spomenik Database
Spomenik-Hype – Fluch oder Segen?
Schlussendlich bezeichnet der gegenwärtige mediale Hype um die Spomeniks – wie auch Jóhannssons Filmprojekt – auf der einen Seite eine Hommage an jene künstlerischen Bauwerke, die dadurch weltweite Aufmerksamkeit erlangen und deren Lebensdauer vermutlich auch aufgrund des international wachsenden touristischen Interesses nun für die Zukunft gesichert sein wird. Andererseits veranschaulicht die Thematik bei genauerer Betrachtung, dass sich die Spomeniks nicht nur auf ihren rein ästhetischen Wert reduzieren lassen, sondern die Bedingungen ihres Daseins und Fortbestehens an zahlreiche Konflikte gebunden sind, die bis in die Gegenwart reichen und gleich mehrere Diskurse zum Anlass geben.
| Brigitte Egger
1 Bei dem Monument, das auf dem Filmstill abgebildet ist, handelt es sich um das Flower Monument (Kameni Cvijet) – entworfen von Bogdan Bogdanović in Gedenken an die Opfer des Konzentrationslagers Jasenovac, Kroatien
„The ‚Flower‘ monument at Jasenovac is a memorial to the hundreds of thousands of victims who were executed during World War II at the Jasenovac forced labor and extermination camp which was set up and run at this location, on the banks of the Sava River, by the Independent State of Croatia (NDH) and administered by the fascist Ustaše forces.“
– Spomenik Database