LESSONS ON DEFENSE und deren Bedeutung für heute

Derzeit ist die Ausstellung IDENTITÄT IST UNGEWISSHEIT #2 im Kunstpavillon Innsbruck zu sehen [verlängert bis 17.04.2021]. Gezeigt werden die Arbeiten der letztjährigen Künstlerhaus Büchsenhausen-Fellows Anna Dasović, KURS (Miloš Miletić und Mirjana Radovanović), Lena Ditte Nissen und Airi Triisberg – sie alle mussten ihre „Residency“ im Pandemie-Jahr ins Home-Office verlegen. Für unseren Beitrag haben wir Gespräche mit dem Team KURS sowie dem Kurator Andrei Siclodi geführt und die Ergebnisse daraus im Folgenden zusammengetragen.

Ausstellungsansicht, KURS – „Lessons on Defense“, 2021 | Bild: Brigitte Egger

Es ist der 23. Februar in Belgrad. Wir treffen uns abends in einer der raren Nichtraucher-Bars der serbischen Hauptstadt, wo die Lokale noch bis 20 Uhr geöffnet haben, und beginnen unser Gespräch mit dem allzu präsenten Thema der Pandemie. Miloš fragt mich, wie die Ausstellung im Kunstpavillon denn auf mich gewirkt habe – die beiden Fellows hatten ja nicht die Möglichkeit, sich ihre Arbeiten selbst vor Ort anzusehen. Eigentlich sollten sie zur Abschlussveranstaltung nach Innsbruck kommen –  auch, um ihre Sachen abzuholen, die sie bei ihrer abrupten Abreise vor ziemlich genau einem Jahr dort zurückgelassen hatten, in der Meinung, dass dieser Virus bald vorübergehe. Doch die Einreise nach Österreich scheint momentan, vor allem für Nicht-EU-Bürger:innen, kaum möglich. So verweilen sie also vorerst in ihrer Heimatstadt – während mir die Einreise nach Serbien, wohl auch aufgrund meiner privilegierten Position als Inhaberin eines EU-Passes, mit einem negativen PCR-Test problemlos gewährt wurde…

Wenn für uns wesentliche Werte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung auf dem Spiel stehen, Überwachungs- und Kontrollmechanismen Überhand nehmen, neue Grenzen unser Leben bestimmen – und sich zugleich die Umsetzung künstlerischer und kultureller Praktiken beinahe als ein Ding der Unmöglichkeit erweist, scheint es wichtiger denn je, deren gesellschaftsgestalterisches Potential in Erinnerung zu rufen.

Zur Aktualität einer historischen Bewegung

In ihrem recherche-intensiven Projekt „Lessons on Defense“ beschäftigt sich das Künstlerduo mit kulturellen und künstlerischen Praktiken der jugoslawischen Partisan:innenbewegung während des Zweiten Weltkriegs. Im Rahmen des Fellowship-Programms erstellten sie eigene grafische Arbeiten, die sich aus Inhalten ihrer Recherche zusammensetzen. Zudem trugen sie die Ergebnisse in einer Publikation zusammen, die nun in der Reihe Büchs‘n‘Books in englischer Sprache vorliegt – mit dem Ziel, ihr gesammeltes Wissen einer internationalen Leser:innenschaft zur Verfügung stellen zu können. Geplant wäre eigentlich gewesen, eine Mural zu gestalten, was aber leider unter aktuellen Umständen nicht umgesetzt werden konnte.  

Dem Thema “Liberation-Movements” widmeten sich Miloš und Mirjana bereits einige Jahre: “We didn’t know that cultural production during the Partisan-Movement was such an organized thing, it was really big and we got the impression that there is no end for this research”. Fasziniert sind sie vor allem von der großen Anzahl an Künstler:innen, die im Kontext der Revolution politisch engagiert waren und somit auch aktiv etwas verändert haben. Gerade im Kontext des „historical revisionism“, der gegenwärtig vor allem in den post-jugoslawischen Nationen Konjunktur erfährt und sämtliches sozialistisches Gedankengut auszulöschen versucht, scheint es den beiden als besonders wichtig, diese historische Freiheitsbewegung zurück ins Bewusstsein zu bringen und somit den restaurativen Tendenzen entgegenzuwirken: „All of this is still relevant today, although we do live in a different context, it is still important so constantly challenge dominant models in the field of culture“. Insofern betrachten sie auch ihre eigene künstlerische Arbeit als eine politische:

We think that every art is engaged in a certain way, very often not recognized instantly. We do consider our work as politically engaged, with intentions to use art as tool for making some questions and important issues more visible in the public sphere. Questions like what could be role of artists in the struggle for better society, how can an artists contribute to various struggles and movements, what can we learn from past examples etc.

Auch Andrei Siclodi, Leiter des Büchsenhausen-Fellowship-Programms und Kurator der Ausstellung, sieht die aktuelle Relevanz dieses Projekts darin, wertvolles Wissen, das zu verschwinden droht, nicht nur zu konservieren, sondern auch wieder ins Gespräch zu holen:

Historische Bewegungen im vormals sozialistischen Osten werden meiner Ansicht nach häufig so behandelt, als ob es historische Fehler waren, und somit beschäftigt man sich sowohl im Westen als auch im Osten nicht mehr damit. Ich wurde in meinem Herkunftsland Rumänien selbst in diesem System sozialisiert und kann schon sagen – ja, es war eine kommunistische Diktatur ab einem gewissen Zeitpunkt, aber das bedeutet nicht, das alles, was diese Bestrebung vor hatte, von vorn herein falsch war.

Mit dem KURS-Projekt soll vor allem auf das utopische Potenzial von revolutionären Bewegungen hingewiesen werden. „Im Kontext der Kunst- und Kulturszene von heute ist es wichtig, zu zeigen, dass es Zeiten gegeben hat, in denen Kunst und Kultur einen viel höheren gesellschaftlichen Stellenwart hatten, als man es für möglich gehalten hätte und zudem eine transformative Rolle spielten“, so Siclodi.

Ausstellungsansicht, KURS – „Lessons on Defense“, 2021 | Bild: Delia Salzmann

Zwischen politisch engagierter Kunst und Propaganda

Natürlich geraten Kunst und Kultur, sofern sie einem politischen Impetus folgen, häufig in Gefahr, instrumentalisiert zu werden. Die Frage, ob man bei der politisch engagierten Kunst im Kontext kultureller Praktiken der Partisan:innenbewegung in gewisser Weise auch von Propaganda sprechen müsste, wird von Siclodi entschieden verneint: „Propaganda bezeichnet den systematischen Versuch, eine politische Idee (oder ein Produkt, im Falle von Werbung) einer Gesellschaftsgruppe unterzujubeln – was dann funktioniert, wenn Leute leicht zu beeinflussen sind und sich keine eigene Meinung bilden können. Diejenigen, die in der Partisan:innenbewegung involviert waren, konnten insofern nicht das Ziel einer beeinflussenden Propaganda sein, da sie ja alle bereits davon überzeugt waren, gegen den Faschismus zu kämpfen“. Vielmehr ging es darum, mithilfe von Kunst und Kultur ein Kollektivbewusstsein zu schaffen und durchzuhalten. „Die organisierten Praktiken innerhalb der Partisan:innen sind viel komplexer als die der Propaganda. Die Form, in der die kulturellen Manifestationen stattgefunden haben, waren zwar immer organisiert, aber nicht stabmäßig durchstrukturiert, sie sind mehr situativ entstanden“.

Über die Ausstellung und das Stichwort „Identität“

Der Begriff „Identität“ im Ausstellungstitel bezeichnet eine lose Verbindung zwischen den vier präsentierten Positionen, von denen sich zwei mit Themen beschäftigen, die mit dem Kontext des Zweiten Weltkriegs verbunden sind, während weitere zwei sich der historischen Phase des (Post)Kommunismus der 90er Jahre widmen.

Die Ausstellung hat einen diskursiven Charakter, insofern man als Besucher:in aktiv daran teilnehmen muss – „so schnell, schnell angeschaut funktioniert das nicht bei dieser Büchsenhausen-Ausstellung, man muss sich schon die Zeit nehmen, sich hinsetzen und sich einlesen“, resümiert der Kurator. 

Das persönliche Gespräch mit KURS endet schließlich – in Anbetracht der Frage nach ihrem Eindruck, den die beiden im Zuge ihres kurzen Residency-Aufenthalts von Tirol bekommen haben – auch mit dem Stichwort „Identität“:

We got the impression that tyrolian identity is really strong, like they are trying to somehow have their own identity within Austria – they don’t want to be just Austria, they want to be Tyrol, and just that. We also saw on a regular Sunday morning people who were going to church with the guns in these traditional suits. For us this it was really strange – I mean ‘why?

| Brigitte Egger

Links:

KURS
Ausstellung IDENTITÄT IST UNGEWISSHEIT #2
Facebook (Videos zu Veranstaltungen im Rahmen des Fellowship-Programms)

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