Die zweite komPOST-Ausgabe steht ganz im Zeichen des Frühlings. Vom ersten Feuer im Wald zum gemeinsamen – was könnte es anderes sein? – Spazierengehen präsentieren wir dieses Mal eine Kombination künstlerischer Beiträge von Evi Klotz und Markus Penz:
Feuer
von Evi Klotz

Vorzüge des Spazierens
von Markus Penz
Als besondere Hygienemaßnahmen die Bevölkerung dazu zwangen, einen Großteil ihrer Zeit innerhalb der eigenen vier Wände zu verbringen, erlangte eine verstaubte und aus der Mode gekommene Technik neue, nie dagewesene Bedeutung: der Spaziergang. Einst hatte sie einem aufstrebenden, aber dennoch politisch weitgehend machtlosen Bürgertum als Mittel gegen biedermeierliche Langeweile gedient. Zuletzt war sie eher jungen Familien, Menschen in Begleitung von Hunden und Senior:innen vorbehalten. Doch dann erschien sie plötzlich als das beste Hilfsmittel, um jederzeit der erdrückenden Eintönigkeit zuhause entfliehen zu können oder dringend benötigte soziale Wärme auszutauschen. Wie es überhaupt so weit kommen konnte, ist nicht Gegenstand dieser Betrachtung. Stattdessen sollen die besonderen Vorzüge des Spazierens in Augenschein genommen werden, um diese Praxis weiterzuentwickeln und auch dann noch zu erhalten, wenn uns nicht mehr allein die pure Not dazu treibt. Und da ihr einige auch gewiss schon längst überdrüssig sind, soll neue Lust an dieser Form der Fortbewegung erweckt, sogar ein produktives, gar revolutionäres Element darin offengelegt werden. Wir beginnen dazu am Anfang: an der Haustür.
Der erste Schritt ist der wichtigste, denn er entscheidet, ob nur die herkömmlichen Wege, zur Arbeit, zur Uni, zum Supermarkt, beschritten werden (die es unbedingt zu meiden gilt) oder aber abseits der ausgetretenen Pfade unbekanntes Terrain erkundet wird. Dreht sich der innere Kompass erst einmal nach reinem Bauchgefühl, ist es nur eine Frage von wenigen Biegungen, ehe der Blick vielleicht erstmalig auf ein von Efeu überwuchertes, leerstehendes Haus, einen kleinen kuriosen Laden oder ein Stillleben mit Nippesfigur und Kaktus in einem Fenster im Erdgeschoß fällt. Kaum hat es angefangen, beginnen wir in den gewöhnlichsten Dingen plötzlich das Besondere zu entdecken, und ein paar Ecken weiter fangen die unscheinbarsten Details an, zu uns zu sprechen. Es sind Worte einer lebendigen Stadt, manchmal vielleicht auch einer kränkelnden, ächzenden und vernachlässigten, aber immerhin eines authentischen, von Leben durchwirkten Ortes, an welchem die dort Heimischen auch ihre Spuren hinterlassen dürfen. Und mit der Freude über das Aufspüren dieser Ansammlung von Abdrücken berührt uns der Atem der Stadt, der von ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft zugleich flüstert. Hier herrscht eine Zeitlichkeit, die sich noch nicht vollends unserer Kontrolle entzogen hat, denn es wird gemeinsam am zusammengeflickten Uhrwerk geschraubt, welches das Vergangene mit dem Zukünftigen verschränkt. Und auch wir atmen freier, denn in den teuren Straßen, mit aufpolierten Fassaden und dekorierten Schaufenstern, zwischen gesichtslosen Wohnblöcken und anonymen Neubauten, finden wir diese formbare Zeitlichkeit nicht. Dort sind wir ganz dem Takt der Planung ausgeliefert, welche unsere Bahnen schon lenkt noch bevor wir den ersten Schritt gemacht haben. An den Ecken zarter Hässlichkeit jedoch, wo die kommerziell verordnete Verjüngungskur, welche ganz im Bann des Fortschritts jeden Widerspruch mit Beton versiegelt und uns einer festgefügten Ordnung unterwirft, noch nicht angekommen ist, da bleibt das Medium Stadt transformierbar. Hier kann sich zwischen den Individuen eine Gemeinschaft formen. Umso wichtiger ist es für uns, diese Orte zu kennen und zu beleben.

Eine zweite Zeitachse wird dem Spaziergang eingeprägt, wenn wir uns nicht alleine auf den Weg machen, sondern wie eingangs erwähnt, die Gelegenheit für einen Austausch mit bitter vermissten Freund:innen nutzen. Denn das Gespräch während des Spaziergangs genießt einen ganz besonderen Stellenwert, hat es doch die Eigenart, analog dem beschrittenen Pfad in völlig unerwartete Richtungen zu führen und in ähnlichen Windungen wie dieser zu verlaufen. Mimetisch gesprochen formt der Spaziergang das Gespräch und umgekehrt prägen sich die Themen in die Umgebung ein. Denn wie uns in gewisser Umgebung andere Worte in den Sinn kommen und zufällige Entdeckungen Erinnerungen wachrufen, überträgt sich die besondere Bedeutung eines Satzes auch auf den Ort an dem man sich gerade befindet. So werden fortan untrennbar bestimmte Gespräche mit den Plätzen verknüpft, diese dadurch aufgeladen und bereichert. Der geographische Raum wird mit dem Raum der Bedeutungen verwoben, ja gewinnt erst seine spezifische Bedeutung. Damit erhält die Stadt eine höchst subjektive Gestalt, jeder Baum und jede Brücke kann, gekettet an Ereignisse und Erinnerungen, eine geradezu mystische Qualität annehmen. Und da gerade der Spaziergang den für solche verbindende Momente nötigen Freiraum bereit hält, findet diese Anreicherung, die zugleich eine Aneignung ist, dabei in besonderem Maße statt. Und vielleicht schaffen wir es sogar, den von Anderen hinterlassenen, verborgenen Botschaften, welche die Stadt wie ein magischer Schleier durchziehen, nachzuspüren. Eine solche Lektüre der Stadt offenbart sie als das umfassende Medium zwischen ihren Bewohner:innen, wo jede Ecke erfüllt von Ideen und Träumen ist. Und eine Praxis die eigentlich jeder Zeitökonomie widerspricht hat einen neuen Zweck gefunden.
Kurzbios
Evi Klotz
geboren 1988 in Innsbruck, aufgewachsen in Leutasch
– 2002-2006/ Fachschule für angewandte Malerei Innsbruck
– 2006-2008/ Aufbaulehrgang Glasfachschule Kramsach
– 2010-2012/ abgebrochenes freies Kunststudium an der Universität Mozarteum Salzburg im Bereich Bildhauerei
Markus Penz
geboren 1980 in Hall in Tirol, versucht schon länger, seine Verschulung in Naturwissenschaft und IT durch die Hinwendung zu sozialen Themen und politischen Aktionen kontinuierlich abzustreifen. Die kulturelle Ödnis der letzten Monate belebte er unter anderem mit gruppendynamischer Forschung in Form von Stadtspaziergängen, welche auch den vorliegenden Text inspiriert haben.